Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Grauſpecht: Aufenthalt. Weſen. Stimme. Nahrung. 587

einem Brutgebiete vertreibt, in wel<hem Wohnungsnot herrſcht. Fm übrigen vertragen ſich beide ebenſogut miteinander wie verſchiedenartige Spechte überhaupt, und ih ſelbſt kenne niht beſonders ausgedehnte Brutgebiete, in denen beide ſi<h allſommerlih fortpflanzen. Während ihrer Reiſen geſellen ſie ſh, wie Snell mitteilt, niht allzu ſelten zu einander, nähren ſih wie gute Kameraden auf einer Stelle und fliegen, aufgeſcheu<t, gemeinſchaftlich eine Stre>e weit fort.

Jn ſeinem Weſen und Betragen ähnelt der Grauſpehht ſeinem nä<hſten Verwandten ſo ſehr, daß ſchon bedeutende Übung dazu gehört, beide zu unterſcheiden. „Er beſitzt“, wie mein Vater ſagt, „des Grünſpechtes Lebhaftigkeit und Munterkeit , ſeine Geſchi>lichkeit im Klettern, ſeine Art, die Nahrung dur<h weniges Löcherha>en zu ſuchen, ſeinen hüpfenden Gang auf der Erde und ſeinen Flug; doch ſind bei dieſem die Abſätze kleiner, und das Rauſchen iſt geringer. Gern klettert er unten an den Bäumen herum, fliegt, ſobald er aufgejagt wird, auf die Spige eines hohen Baumes oder auf einen hohen Aſt und hängt ih faſt immer ſo an, daß er dur<h den Stamm oder einen Aſt gegen den Schuß geſichert iſt, Flieht er vor ſeinem Verfolger und klammert er ſih an einem Baume an, ſo geſchieht es gewiß allemal auf der dem Feinde entgegengeſeßten Seite, und nur zuweilen ſte>t er den Kopf vor, um zu ſehen, wie groß die Gefahr noh ſei. Auf ſolche Weiſe kann man ihn lange herumjagen, ohne ihn zu erlegen. Eine Eigenheit habe ih an ihm bemerkt, die er mit dem Grünſpechte gemein hat. Jm Herbſte und Vorwinter nämlich hat er ein ordentliches Revier, das er alle Tage regelmäßig beſucht.“ Er erſcheint alsdann, wie mein Vater weiter ausführt und auh i< ſchon in der Jugendzeit beobachtet habe, faſt alle Morgen zux beſtimmten Stunde in einem Garten, hängt ſi<h zunächſt an einen gewiſſen Baum, fliegt von dort aus nach einem anderen 2c., alltäglich in durchaus übereinſtimmender Weiſe, von derſelben Stelle kommend und na< der nämlichen wieder verſhwindend. Auf dem Boden trifft man ihn ebenſo oft wie den Grünſpecht, und im Herbſte iſt er auf den gemähten Wiejen geradezu eine regelmäßige Erſcheinung. Seine Stimme erinnert an die des Grünſpechtes, licgt aber etwas höher und iſt merklih heller; der Lockton läßt ſih dur die Silben „ged ge> gi> gi>“ ungefähr übertragen. Dann und wann vernimmt man auh ein helles „Pit“, das von beiden Geſhlehtern ausgeſtoßen wird, und zur Paarungs- und Brutzeit von beiden Geſchlechtern einen ſehr ſchönen, vollen, ſtarken, pfeifenden Ton, der wie „Fli kli flii fü Hü“ lingt und von der Höhe zur Tiefe herabſinkt. Nah Naumann ſett ſich der in dieſer Weiſe ſ{hreiende Grauſpecht allemal auf die Spigze eines hohen Baumes, und deshalb ſchallen die herrlichen Töne weit in den Wald hinein. Sie haben zwar Ähnlichkeit mit denen des Grünſpechtes, ſind aber gerundeter, niht ſo ſ{<hneidend und durch das allmähliche Sinken ſo ausgezeihnet, daß ſie ein aufmerkſames Dhr ſogleih erkennt. Unzweifelhaft dienen ſie dazu, ſi< gegenſeitig anzulo>en, und wenn dann ein Paar ſi< gefunden hat, beginnt ein gegenſeitiges Ne>en und Jagen ohne Ende. Das paarungsluſtige Männchen fliegt dem Weibchen oft Viertelſtunden weit nah, ſchreit in der angegebenen Weiſe wiederholt, jagt ſi<h \{herzend mit ihm fliegend und kletternd, läuft oft längere Zeit ne>end in Schraubenwindungen mit ihm an einem Baume in die Höhe und ruft ihm dazwiſchen zärtlich fein „Ge> ge> gi> gi>“ zu, wird auch oft von innerem Drange ſo begeiſtert, daß er ſih an einen dürren Baum oder Aſt hängt und nun nah Art des Schwarzſpechtes und des Buntſpechtes trommelt, wogegen der Grünſpecht leßteres, wie bemerkt nie oder doch ſehr ſelten zu thun ſcheint.

Auch der Grauſpecht nährt ſih vorzugsweiſe von Ameiſen und ſtellt insbeſondere gewiſſen Arten von ihnen nah; wo dieſe niht häufig ſind, nimmt gewiß kein Grauſpecht ſeinen Sommeraufenthalt. Auch im Winter ſtrebt er vorzüglich dieſen Arten nah. Kein Wunder daher, daß er auswandern muß, wenn hoher Schnee den Boden ſo verde>t, daß