Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

588 Erſte Ordnung: Baumvöge l; a<htundzwanzigſte Familie: Spechte.

er nur ſchwer oder nicht zu ſeiner Lieblingsnahrung gelangen kann. Beim Arbeiten an den Bäumen zieht er ſelbſtverſtändlih alle Kerbtiere und. Kerbtierlarven hervor, deren er habhaft werden kann, und wenn er im Sommer auf glatte Raupen ſtößt, verfallen auch dieſe ſeinem Magen. Jm Spätherbſte und Winter verzehrt er neben tieriſhen Stoffen auch pflanzlie. Mein Vater fand Holunder-, Snell Vogelbeeren in ſeinem - Magen.

Zur Fortpflanzung ſchreitet der Grauſpecht etwas ſpäter als der Grünſpecht, niſtet jedo<h auf ähnliche Art. Er hackt ſi< ſeine Höhlung ſelbſt aus und bekundet dabei ungewöhnliche Ausdauer. Das Eingangsloch iſt ſo eng, daß ein Grünſpecht kaum aus- und einfliegen kann, inwendig aber oft 30, mindeſtens 25 cm tief und 15—20 em weit und ſehr glatt ausgearbeitet. Mein Vater hat das Neſt in Fichten, Linden, Buchen und Eſpen, Naumann außerdem auch in Kiefern und Eichen, und ih ſelbſt habe es einmal in einem Apfelbaume gefunden. Die 5—6, ſeltener 7 oder 8 reinweißen, glänzenden, an dem einen Ende ziemlih ſpit, an dem anderen kurz abgerundeten, feinſchaligen, zarten und dünnen Eier ähneln denen des Grünſpechtes bis auf die geringere Größe vollkommen, werden ebenſo wie bei jenem und den meiſten Spehten überhaupt auf feinen Holzſpänen am Boden der Höhlung abgelegt und wechſelſeitig von beiden Gatten ausgebrütet, die Jungen faſt nur mit den Puppen der beiden genannten Ameiſenarten ernährt. Lettere verweilen ungeſtört bis zum völligen Flüggewerden im Neſte, klettern ebenfalls innerhalb der Bruthöhle viel früher herum, als fie fliegen können, ſchauen oft zu ihrem Neſtlohe heraus und begrüßen die Anfunft der Eltern mit wunderlih zirpendem Geſchrei, laſſen ſi< auh, nachdem ſie ausgeflogen find, no< lange von den Eltern füttern. Dieſe bethätigen ihrer Brut gegenüber die größte Zärtlichkeit und Hingebung, ſißen beim Brüten ſo feſt, daß man ſie niht ſelten über den Eiern ergreifen kann, und verlaſſen die Brut niht. Wird eines von ihnen getötet, ſo übernimmt der andere alle Fürſorge für die Brut, insbeſondere die Mühwaltung, welche die Aufzucht der ſehr anſpruchsvollen Fungen verurſacht.

Abgeſehen von dem Menſchen ſtellen dem Grauſpechte nur unſere größeren Falkenarten, insbeſondere Habicht und Sperber, nah. Dieſer ſtößt zwar auf den Grauſpecht, doh glaube ih niht, daß er ihn zu erwürgen vermag; der Hühnerhabiht dagegen mordet ihn, ohne daß er Widerſtand zu leiſten vermöchte. „Noch vor kurzem“, ſchreibt Snell, „habe ih, dur das ängſtliche Geſchrei eines Grauſpechtes aufmerkſam gemacht, einen derartigen Fall mit angeſehen. Ein Taubenhabicht hatte den Specht von einem Baume abgetrieben und verfolgte ihn auf das heftigſte. Kreuz und quer ging nun die Heßjagd durch die Zwetſchengärten längs des Baches. Das Geſchrei des Grauſpechtes wurde mit deſſen Ermattung immer ſ{<wächer und verſtummte endlih ganz. Da währte es niht mehr lange, daß der Räuber ſeine Beute ergriff. Ärger vielleicht als der Habicht gefährdet ihn ein ſtrenger Winter: obgleih er dem in der Regel dadurch entgeht, daß er auswandert, geſchieht es do, und niht allzu ſelten, daß plößlicher und lang anhaltender Schneefall ihm die Möglichkeit raubt, rehtzeitig zu entrinnen. Unter ſolchen Umſtänden findet man ebenſo oft verhungerte Grau - wie Grünſpechte meiſt in der Nähe der Dörfer, in deren Obſtgärten ſie die lebte Zuflucht geſucht hatten. '

Eine amerikaniſche Gattung der Grünſpechte iſt die der Krummſchnabelſpechte (Colaptes), einige 40 Arten mit ziemlich dünnem, meiſtens deutlih gebogenem, plattem Schnabel.

Die bekannteſte Art der Gattung iſt der Goldſpecht, der Fli>ker oder High-holer der Nordamerikaner (Colaptes auratus, Cuculus und Picus auratus), ein Vogel, der unſerem Grauſpechte an Größe etwas nachſteht. Oberkopf und Hinterhals ſind aſhgrau,

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