Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

608 Erſte Ordnung: Baumvögel; a<htundzwanzigſte Familie: Spechte.

anzuſpießen, und man konnte dabei die wunderbare Beweglichkeit ihrer Zunge genau beobaten. Wenn ſie eine Stelle von Nahrung geſäubert hatten, taſteten ſie mit dieſem überaus biegſamen Werkzeuge nach allen Seiten hin auf dem Drahtnete umher und bewegten dabei die Zunge ſo raſh und in ſo mannigfachen Windungen, daß man unwillkürlich an die Krümmungen eines beweglihen Wurmes erinnert wurde. Hatten ſie eine Ameiſenpuppe entde>t, ſo krümmten ſie die Zunge, rihteten die Spitze gegen die Puppe, ſtre>ten die Zunge aus und hatten regelmäßig die Beute feſt angeſpießt.

Nachdem meine Gefangenen ordentlich freſſen gelernt hatten, wurden ſie in einen großen, eigens für Spechte hergerichteten Käfig gebracht. Jn dieſem befanden ſi bereits Gold- und Buntſpechte, und ih war ihrethalben nicht ganz ohne Sorgen. Die Schwarzſpechte zeigten ſih jedo< höchſt verträglih. Sie ſuchten keine Freundſchaft mit ihren Verwandten anzutnüpfen, mißhandelten oder beläſtigten ſie aber auh niht, ſondern betrachteten ſie höhſtens gleihgültig. Feder der Vögel ging ſeinen eignen Weg und ſchien ſi um den anderen niht zu kümmern. Der einzige Übergriff, den die Shwarzſpe<hte ſih erlaubten, beſtand darin, daß ſie den Shlafkaſten, den die Goldſpehte bis dahin unbeſtritten innegehabt hatten, in ihren Beſiß nahmen und fortan behaupteten. Der Eingang zu dieſem Kaſten war für ſie zu eng; dies aber verurſachte ihnen durhaus keinen Kummer; denn ſie arbeiteten ſich binnen wenigen Tagen die Höhlung ſo zurecht, daß ſie eben für ſie paſſend war. Gegen Abend ſchlüpften ſie regelmäßig in das JFnnere, wie es vorher der Goldſpecht gethan, und jeder von ihnen hing ſih an einer der ſenkrehten Wände des Kaſtens zum Schlafen auf. Zh hatte früher beobachtet, daß die Spechte niemals in anderer Stellung ſchlafen, und deshalb die Wände des Kaſtens mit Borke benageln laſſen; ſomit waren ſie ihnen ganz bequem, und ſie ſchienen dies auh dankbar anzuerkennen; denn während ſie im übrigen alles Holzwerk zerſtörten, die an die Außenwände des Käfigs angenagelte Borke rükſichtslos abſ<hälten, fortwährend an den ihnen zur Unterhaltung gegebenen Weidenſtämmen hämmerten und ſelbſt das Balkenwerk des Käfigs bearbeiteten, ſo daß es geſhüßt werden mußte, ließen ſie das Funere ihres Schlafraumes unverſehrt.

Im Anfange ihrer Gefangenſchaft waren ſie ſtill; gegen den Herbſt hin aber vernahm man ſehr oft ihre wohlklingende, weit ſchallende Stimme. Leider entſprach der Käfig doh nicht allen Anforderungen. Er lag nicht geſhüßt genug, und ſo waren die Vögel dem Zuge zu ſehr ausgeſeßzt. Sie erkälteten ſih, bekamen Krämpfe, fielen vom Stamme herab zum Boden, lagen minutenlang ſtarr und regungslos unten und verſchieden endlih unter derartigen Anfällen. Der zuleßt verendende war 7 Monate in der Gefangenſchaft geweſen.

Größer ‘als der Schwarzſpecht iſt der Herrenſpe<ht oder Elfenbeinſhnabel der Nordamerikaner (Dry ocopus principalis, Picus principalis, Campephilus, Dendroscopus, Dryotomus und Megapicnus principalis, Picus und Campephilus bairdi); ſeine Länge beträgt 55, die Breite 80, die Fittichlänge 28, die Shwanzlänge 19 em. Das Gefieder iſt glänzend ſ{hwarz, einige Federchen über den Naſenlöchern und ein ſ{hmaler Streifen, der auf der Ba>kenmitte beginnt und, ſih merklih verbreiternd, an den Halsund Schulterſeiten herabzieht ſowie die hinterſten Hand- und Armſchwingen dagegen ſind weiß, die Schläfe und die ſpißzige, lange Hinterhauptshaube nebſt Na>ken brennend ſcharlachrot. Die Jris hat gelbe, der Schnabel hornweiße, der Fuß dunkel bleigraue Färbung. Das Weibchen unterſcheidet ſi< dur<h die ſ{<warze Haube vom Männchen. Das Verbreitung8gebiet des Herrenſpechtes beſchränkt ſich auf die ſüdlichen Vereinigten Staaten und die Jnſel Cuba. Der hier lebende Herrenſpeht wird unter dem Namen Picus bairdi von einzelnen Vogelkundigen von dem nordamerikaniſchen getrennt, ſcheint jedoch artlih niht verſchieden zu ſein. Jn Nordamerika bewohnt der Vogel Nord- und Südearolina, Georgia,