Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Kleinſpeht: Weſen. Fortpflanzung. Nahrung. Gefangenleben. 627

muß man, nah Päßlers Erfahrungen, beobahten, wohin das ſorgſame Männchen fliegt um ſein brütendes Weibchen zu füttern. Das Gelege beſteht aus 5—7 kleinen, glänzend weißen, zuweilen auh mit äußerſt feinen, roten Pünktchen ſpärlich bezeihneten Eiern. Beide Gatten brüten wechſelweiſe, zeitigen die Eier innerhalb 14 Tagen und übernehmen gemeinſchaftlih die Aufzucht der Jungen.

Die Nahrung des Kleinſpechtes ſcheint bloß aus Kerbtieren zu beſtehen; denn man findet au< im Herbſte und Winter nichts anderes in ſeinem Magen. Nach Ad. Walters eingehenden Beobachtungen frißt er im Freien nur Kerbtierlarven, Maden und andere weiche tieriſche Stoffe, verſhmäht dagegen Fliegen und Käfer, ja ſogar alle diejenigen Ameiſenpuppen, în welchen die Fungen bereits entwi>elt ſind. Gerade deshalb wird er ſo außer: ordentlih nüßli<h. „Nicht allein den Waldbäumen“, ſagt Naumann, „ſondern auch den Obſtpflanzungen wird ſeine Anweſenheit zur wahren Wohlthat. Man ſieht ihn beſtändig an den Bäumen und ihren Äſten pi>en und beinahe immer freſſen, und bei nachheriger Unterſuchung findet man den Magen ſo vollgeſtopft von allerlei oft winzig kleinen Baumverderbern Daß man darüber erſtaunen muß.“

Glülicherweiſe iſt er der Verfolgungswut weit weniger ausgeſeßt als andere Spechte, weil er ſi< dem rohen Menſchen niht fo bemerkli<h macht oder raſh aus dem Auge verſ<windet und den, der ihn kennt, ohnehin zum Freunde hat. Anderſeits freilich ſeßt ihn ſeine Zutraulichkeit mancher Gefahr aus. Auch er läßt ſih dur<h na<hgemachtes Pochen oder Klopfen herbeiloœÆen; doh muß man ſeine Weiſe, zu hämmern, verſtehen, wenn man auf Erfolg rehnen will: denn nux, wenn man ſein Klopfen täuſchend nahahmt, kommt er herbei.

Gefangene Kleinſpehte ſind allerliebſte Vögel. Harmlos und zutraulih, munter, regſam, behende und gewandt, füllen ſie ihren Play in jedem Gebauer vortrefflich aus, verlangen aber, wenn ſie ihre ganze Eigenart fundgeben ſollen, einen Raum, in welchem ſie zimmern und meißeln können nah Herzensluſt, Man darf ſie ohne Bedenken in Geſellſchaft von Meiſen und Goldhähnchen halten; denn die kleinen Wichte ſind gewiß nicht diejenigen, welche unter eine ſo gemiſ<hte Geſellſchaft Unfrieden bringen. Es gewährt einen reizenden Anbli>, in ſolchem Käfige das bekannte Bild aus dem Freileben unſerer Waldvögel im kleinen herzuſtellen. Denn ebenſo wie im freien Walde wird hier den niedlichen Geſellen bald die Führung und Leitung der geſamten Mitbewohnerſchaft zugeſtanden. Ad. Walter ſtimmt im Lobe des kletternden Zwerges vollſtändig mit mir überein. „Der Kleinſpeht“/ \{<hreibt er mix, „iſt ein Tuger, immer luſtiger, zutraulicher, ſtets zu Spielereien geneigter Vogel und der Buntſpecht im Vergleiche mit ihm ein wahrer Dummkopf. Ex übt ſeine Spielereien in der beluſtigendſten Weiſe niht nur für ſih aus, ſondern fordert auc ſeinen Pfleger oft zum Mitſpielen auf. Ein Arm- oder Tuchſchwenken ſeßt dann eine ganze Familie in die freudigſte Aufregung, ſo daß ſie wohl 5 Minuten lang die luſtigſten Shwenkungen ausführt und ſi< fletternd um den Stamm herum wie Affen jagt. Dann verſte>t ſih einer mit ſenkreht ho< gehobenen Flügeln hinter einem Stamme, wird von einem anderen entdeckt, und nun laufen beide mit ſenkre<t gehobenen, oben faſt zuſammentreffenden Flügelſpißen wie tanzend um den Stamm herum, immer ſi<h né>end und verfolgend. Oft habe ih durch Hinzutreten die Vögel zur Ruhe bringen müſſen; denn dann kommt ſogleich die ganze Familie an das Gitter geflogen und betaſtet ſorgfältig und anhaltend mit ausgeſtre>ter Zunge die an den Käfig gehaltenen Hände.“

Vorſtehendes ergänzend, erzählte mir derſelbe Beobachter noh nachſtehende allerliebſte Geſchichte. „Um ſowohl das Äußere als auch die geiſtigen Eigenſchaften dieſes Vogels kennen zu lernen, hatte ih fünf ſhon etwas befiederte Junge aus der Niſthöhle genommen und ihnen einen ebenſo weit entwidelten Buntſpecht geſellt. Alle ſehs fütterte i< mit Ameiſenpuppen, die ſie zwar noh niht vom Boden aufzunehmen verſtanden, nach einigen Verſuchen

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