Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

628 Erſte Ordnung: Baumvögel; ahtundzwanzigſte Familie: Spechte.

jedo<h aus einer vor den Schnabel gehaltenen Papierdüte hervorzogen. Nach etwa viertägigem Füttern verließen die fünf Kleinſpechte einer nah dem anderen das für ſie hergerichtete Neſt, letterten am Baumſtamme, den ih für ſie in den Käfig geſtellt hatte, herum und nahmen nun auch ſelbſt das Futter vom Boden auf. Kaum hatten ſie ſih bequemt, allein zu \reſſen, ſo ergriff einer nah dem anderen eine Ameiſenpuppe mit dein Schnabel, lief mit ihr zu dem im Neſte ho>enden Buntſpechte und reihte ſie ihm. Bevor der fünfte ſeine Puppe abgegeben hatte, war der erſte ſhon wieder mit einer neuen zur Stelle und ſo ging es immer nach der Reihe fort, bis der große Buntſpecht nihts mehr aufnahm. Sowie er wieder Hunger hatte, begann das Füttern in derſelben Reihenfolge wie vorher. Jeder Kleinſpecht gab ſeine Puppe ab und holte eine neue, bis nac einigen Tagen auch der große Specht allein freſſen konnte.

„Da ih dieſe niedlihen Vögel wegen einer in Ausſicht ſtehenden längeren Reiſe nicht behalten fonnte, beſchloß ih, ihnen, nahdem ih ſie 2 Monate im Käfige gehalten, die Freiheit zu ſchenken. Jch trug ſie in einem kleinen Gebauer nah dem Berliner Tiergarten und ſette ſie an einen ſtarken, abſeits vom Wege ſtehenden Eichenſtamm, den alle fünf ſogleich mit dem Schnabel zu bemeißeln begannen. Bald ſchienen ſie au< ganz vertieft in ihre Arbeit zu ſein. Sowie ih aber Miene machte, mich zu entfernen, hatte ih einige von ihnen auf Bruſt und Schulter. Da blieb mix nun nichts anderes übrig, als einen dichtbelaubten, ſtarken Zweig abzubrechen und dur<h Schwenken und Schlagen gegen den Stamm meine zutraulihen Tierchen ſo lange zu ſhre>en, bis ſie ſheu wurden. Hätte ih dies niht gethan, ſo wären ſie von anderen Leuten ergriffen worden und hätten vielleiht in kurzer Zeit ein trauriges Ende gefunden.“ Zwei gefangene Kleinſpechte, die ih pflegte, waren von Freunden für mich aufgezogen und an Ameiſenpuppen gewöhnt worden, hielten ſih au< ſo lange vortrefflih, als ih friſhe Ameiſenpuppen beſchaffen konnte. Dann aber ſtarben beide raſh nacheinandex, ohne daß ih mir dies erklären konnte. Ad. Walter gibt mir Ausfunft, warum. Die Vögel haben ſo <hwache Verdauungswerßzeuge, daß ſie keine Gewölle bilden können, an ſ{hwerverdaulichen Stoffen, wie Kerbtierflügeln, Füßen und dergleichen, ſih deshalb den Magen verderben, krank werden und an Abzehrung zu Grunde gehen. Hierin dürfte das größte Hindernis liegen, ſie längere Zeit im Käfige zu halten.

Dieſelben Feinde, die den übrigen Spechten gefährlich werden, verfolgen ſelbſtverſtändlih au den Kleinſpeht. Manch einer mag von ihnen ergriffen werden; man einer entgeht ihnen aber auch, dank ſeiner unvergleihlihen Gewandtheit. Dagegen ſeßt ihn nun wieder ſeine harmloſe Zutraulichkeit mordluſtigen Shüßen gegenüber den größten Gefahren aus. Dem ungeachtet kann man nicht ſagen, daß ſein Beſtand ſih verringere; denn glücklicherweiſe verhängt der Winter ſeltener ſo große Not über ihn wie über die Erdſpechte, und ebenſo entgeht ſeine Niſthöhle doh in den meiſten Fällen dem Auge der Eierſammler.

Dex ſeltenſte unter unſeren Spechten iſt der Weißſpecht oder Elſterſpecht, weißrüdiger und größter Buntſpecht (Dendrocopusleuconotus, Picus leuconotnus, leucotis, polonicus und cirris, Pipripicus leuconotus und uralensis, Pipricus und Dendrodromas leuconotus, Abbildung S. 586). Er übertrifft den Buntſpecht um ein beträchtliches an Größe und ſteht nur wenig hinter dem Grauſpechte zurü>; denn ſeine Länge beträgt zwiſchen 26 und 28, ſeine Breite zwiſchen 47 und 50, die Fittichlänge 16, die Shwanzlänge 10 cm. Stirn und Vorderkopf ſind weiß, roſtfahl verwaſchen, Scheitel und Hinterkopf ſcharlachrot, wobei jedo< zu bemerken, daß die grauen Federwurzeln dur<hſcheinen, Naen, Hinterhals und Oberſeite ſowie ein am Mundwinkel beginnender, ſeitlih am Halſe herab verlaufender und hier mit einem von der Ohrgegend bis zur Kropfſeite herabreichenden breiteren in Verbindung tretender Streifen ſhwarz, hintere Mantel- und Schultergegend weiß,