Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

52 Erſte Drdnung: Baumvögel; erſte Familie: Sänger.

Die Örtlichkeit welche das BVlaukehlchen bewohnt, und ſeine Gewandtheit hüten es vor vielen Feinden, welche anderen Sängern gefährlih werden. Die brütenden Alten und noh mehr die Eier und die unbeholfenen Jungen fallen dem ſpürenden Fuhſe, den kleinen ſchleichenden Raubtieren und den Ratten gewiß niht ſelten zur Beute; ſonſt aber lebt alt und jung ziemlich unbehelligt. Eine Jagd mit dem Feuergewehre weiß der gewandte Vogel oft ſehr zu erſhweren, und ſeine unvergleichliche Fertigkeit, ſih zu verſte>en, kommt ihm dabei ausgezeichnet zu ſtatten. Merkt er Gefahr, ſo pflegt er mit wahrer Shlauheit ſih immer da aufzuhalten, wo dichte Gebüſche oder Hecken ihn dem Auge des Jägers entziehen. Dagegen kann er dem verlo>enden Mehlwurme kaum widerſtehen und wird mit dem einfachſten Fangwerkzeuge berü>t.

Gefangene Blaukehlchen ſind eine wahre Zierde des Gebauers. Bei geeigneter Pflege werden ſie bald und in hohem Grade zahm, ſo wild und ſcheu ſie ſich anfangs auch gebärdeten, ſingen dann auch fleißig, verlangen aber die ſorgfältigſte Wartung.

Die nächſtverwandte Untergattung (Calliope) bilden zwei aſiatiſhe Erdfänger mit mittelſtarkem Schnabel, kräftigen, mäßig hochläufigen, großzehigen Füßen, mittellangen Flügeln, deren erſte Shwinge ſtark verkürzt iſt, verhältnismäßig kurzem, leicht gerundetem S<hwanze, deſſen Seitenfedern zugeſpißt ſind, während die beiden Mittelfelder ebenfalls ſich abrunden, und knapp anliegendem, glattem Gefieder.

Unter dieſen beiden Arten iſt die Kalliope (Erith acus calliope, Calliope kamtschatkensis und lathami, Motacilla, Turdus, Accentor und Tusciola calliope, Abbildung S. 49) für uns aus dem Grunde wichtig, als ſie wiederholt in Europa vorgekommen, wahrſcheinli<h ſogar auf der Weſtſeite des Urals und ebenſo im Kaukaſus ſeßhaft iſt. Jhr Gefieder iſt auf der Oberſeite olivenbraun, auf Kopf und Stirn am dunkelſten, auf der Unterſeite ſ<mußigweiß, ſeitlich graulith olivengrün und auf der Bruſtmitte weiß, ein Augenbrauenſtreifen ſeidig weiß, der Zügel darunter ſhwarz, die Kehle prachtvoll rubinrot ein ſie umgrenzendes, nach unten hin in Braungrau oder Aſchgrau übergehendes Band ſ{warz. Beim Weibchen ſind alle Farben bläſſer, die der Kehle nur angedeutet. Die Jungen ähneln der Mutter. Die Länge beträgt 16, die Fittichlänge 8, die Schwanzlänge 6 em.

Lichte Vorwälder Nordaſiens, in denen dichtes Unterholz ſteht, Weidendi>ichte längs der Flußufer, He>en und Gebüſche auf feu<htem Grunde ſind die eigentlihen Wohnſiße der Kalliope. Einzelne, vielleicht mehr, als zur Zeit vermutet werden darf, kommen au< auf der europäiſchen Seite des Urals vor, und ebenſo mögen geeignete Gegenden Weſtſibiriens, welche wir vergeblih nach ihnen dur<forſ<ht haben, als Brutſtätten dienen; im allgemeinen aber beginnt der Wohnkreis der Kalliope öſtlih vom Ob, und erſt vom Jeniſſei an tritt der zierliche Vogel regelmäßig und häufig auf. Gelegentlih der Frühjahrs- und Herbſtwanderung durchreiſen einzelne übrigens auh Weſteuropa: ſo ſind in Frankreih zwei von ihnen erlegt worden, welche unzweifelhaft auh unſer Vaterland durh- oder überfliegen mußten, um ſo weit na< Weſten zu gelangen. Auf den ſtändigen Brutpläßen erſcheint die Kalliope in der zweiten Hälfte des Mai, ausnahmsweiſe aber auch früher, und auf ihnen verweilt ſie, laut von Kittlitz, bis zu Anfang des Oktober, obwohl einige auh {hon Ende Auguſt ſich auf die Wanderſchaft begeben. Dieſe führt ſie durch die Mongolei, Südchina, Japan 2c. bis nach Oſtindien, wo ſie, wie Ferdon berichtet, gegen den November hin eintrifft. Swinhoe, welcher ſie in der Nachbarſchaft von Peking beobachtete und als einen dort häufigen Vogel kennen lernte, glaubt, daß ſie ſchon in China überwintern möge, hat ſie jedoh au< niht ſpäter als von Kittliß in Kamtſchatka, im Oktober nämlih, bemerkt.

Jn ihrer Lebensweiſe erinnert die Kalliope, nah Angabe der Forſcher, welche ſie lebend beobachteten, ebenſo ſehr an die Blaukehlhen wie an die Schilfſänger; Radde und von