Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Kalliope: Aufenthalt. Stimme. Neſt. 53

Kittlig vergleichen ſie mit jenen, Swinhoe mit dieſen. Fhre Nahrung ſucht ſie auf dem Boden, wie es ſcheint, hauptſächlich erſt mit eintretender Dämmerung, während ſie bei Tage ihre Verſte>e ſo wenig wie mögli verläßt. Laufend gleicht ſie ganz dem Blaukehlhen, iſt auh ebenſo gewandt, im Seggengraſe vielleicht no< gewandter, den Rohrſängern ähnlicher als dieſe. Jerdon nennt ſie „ſcheu, ungeſellig und ſtill“; Radde und von Middendorf beſtätigen das erſte, niht aber das übrige. Auf dem Zuge, welchen die Männhen früher antreten als die Weibchen, halten ſie ſi< gern in Geſellſchaften, und während des Früh: linges „ſ<hlägt in dem leichten Laube der Birke oder noch lieber in dem Weidengeſtrüppe die Kalliope ebenſowohl bei Tage wie bei Naht“. Der Geſang wird ſehr geprieſen, hat auch, laut von Kittliß, einen ſchönen Klang, aber eine zwitſhernde, wenig deutliche Melodie. Mit Europas Nachtigall kann die Kalliope nicht wetteifern, iſt aber troßdem unter den Singvögeln Oſtſibiriens unbeſtritten einer der ausgezeichnetſten. „Keinen ſ{hnarrenden Anſchlag“, ſchildert Radde, „kein darauf folgendes tieferes Pfeifen läßt ſih vernehmen: es iſt eine leiſere Klage, welche ſie dem Ohre zuhauht. Gleich der Nachtigall ſchlägt ſie drei- bis viermal mit der Silbe „djuu‘ an, läßt aber dann einen langen Triller folgen, welcher einigermaßen dem der Feldlerhe ähnelt. Das Schnarren fehlt niht immer, iſt aber ſtets ſehr ſchwach.“ Während der Brutzeit ſingt das Männchen viel, zumal in den Nachtſtunden. „Sobald die Sonne dem Geſichtskreiſe entſhwunden iſt“, ſagt Dybowski, „beginnen dieſe Vögel zu ſingen. Anfangs nehmen ihrer nur wenige teil, nah und nac aber treten neue Sänger auf, und ſhon um die Abenddämmerung umklingen die angenehmen Weiſen die in den von Rubinnachtigallen bewohnten Thälern übernahtenden Menſchen, oft in unmittelbarer Nähe der Zelte. Der Geſang währt, je nahdem der Himmel darein bli>t, bis zum Morgen fort; bei Regenwetter aber hört man nur ſelten und an trüben Tagen bloß dann und wann eine Kalliope ſingen.“

Nach Angabe des Freiherrn von Kitt lig ſit das ſingende Männchen gewöhnlich auf dem Wipfel eines kleinen Birken- oder Erlenbaumes, „bläſt die Kehle auf, wie unſere Nachtigall thut, breitet, wie das Blaukehlchen, die Flügel etwas aus und trägt zugleich den Schwanz im reten Winkel aufgehoben, doh ohne ihn auszubreiten oder zu bewegen.“ Die Weibchen halten ſi, während das Männchen ſingt, wie immer, ſehr verborgen im niederen Gebüſche und kommen bloß gelegentlih und auh dann nur auf Augenbli>e zum Vorſchein.

In der Gegend des Taimyrfluſſes fand von Middendorf mehrere Neſter der Kalliope auf. Sie ſtanden immer auf dem Boden, meiſt zwiſchen den Stämmchen verkrüppelter Weiden, diht am Fluſſe, und regelmäßig auf Flächen, welche im Frühjahre überſ<hwemmt Und mit Sand- und ſonderbar zuſammengetürmten Treibholzhaufen bede>t worden waren. Das Neſt gehört zu den kunſtvollen, indem es niht nur überdacht, ſondern überdies mit einer furzen, dem Ganzen wageret anliegenden Eingangsröhre verſehen iſt. Dybowski nennt das Neſt hüttenförmig mit einer Seitenöffnung und bemerkt, daß es außen aus tro>enen Sumpfgräſern , innen aus feinen Halmen erbaut, aber ſhwach zuſammengewebt iſt und daher nit aufbewahrt werden kann, ſondern ſeine urſprüngliche Geſtalt bald verliert. Die 5 Eier, aus denen das Gelege beſteht, ſind 19—21 mm lang und 15—16 mn did, in der Form ebenſo verſchieden wie in der Größe, einige länglih, andere kurz und bauchig, alle ſ<wa<h glänzend und auf grünlichblauem Grunde ſpärlih, nur am Wurzelende etwas dihter mit ſehr blaſſen und kaum ſichtbaren ziegelrötlihen Fle>en geſprenkelt. Ende Funi brüten, nah von Middendorfs Erfahrungen, die Vögel eifrig. Nähert man ſi einem Neſte, ſo \<lüpft das Weibchen, ohne aufzufliegen hervor, gewinnt, in gedu>ter Stellung forthüpfend, den nächſten Treibholzhaufen und verkriecht ſich in den Zwiſchenräumen, kehrt auh nicht ſogleih zurü>, ſo feſt es früher auf den Eiern ſien mochte. Ende Auguſt trugen Junge, welche von Kittliß erlegte, noh das Jugendkleid.