Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 5
Glycyphagus. Vogelmilben. Kräßmilbe des Menſchen. 743
wieder entfernt haben, denn alle jungen Milben, die Männchen ſowohl wie die unbefruhteten Weibchen, führen ein ſehr umherſhweifendes Leben und verlaſſen ihre Gänge {nell wieder, um neue zu graben. Sie ſind es vorzugsweiſe, welche das unerträgliche Jucken veranlaſſen. Dagegen fertigen die befruhteten Weibchen längere Galerien (Neſtgänge), welche ſie niht wieder verlaſſen; ſie ſezen in dieſen ihre Eier ab und werden tot in dem geſchloſſenen Ende des Ganges gefunden. Ebenſowenig wie in den Anfängen des Kräßeausſchlages finden ſi, wenigſtens der Regel nach, die Milben in den Schuppen und Kruſten (Schorfen), und in dieſen beiden Umſtänden iſt der Grund davon zu ſuchen, daß man ſie ſo lange niht als Urheber der Krankheit anerkennen wollte.
Jn der angegebenen Weiſe verhält es ſih mit der gewöhnlichen, beim Menſchen vorfommenden Kräße, welche da, wo die Verhältniſſe der Bevölkerung beſſer ſind, wegen der Beſchwerlichkeit der Leiden nicht lange auf ärztliche Hilfe zu warten braucht. Fndes auch im Falle der Vernachläſſigung erreicht ſie nur eine beſtimmte Höhe, indem ein zu ſehr geſteigerter Hautreiz den Tieren nicht zuſagt und eine ſtarke Vermehrung derſelben wenig begünſtigt, ſo daß Menſchen angetroffen worden ſind, welche jahrelang die Kräße gehabt haben, ohne daß dieſe einen weſentlih anderen als den gewöhnlichen Charakter angenommen hatte. Wenn ſi< dagegen die Milben unter beſonders günſtigen Umſtänden befinden und die Haut infolge ihrer Beſchaffenheit weniger gereizt wird, vielleicht die übrige Körperfonſtitution unempfänglicher gegen die Hautthätigkeit iſt und ſo das Treiben der Tiere monatelang und länger dur feine Behandlung geſtört wurde, ſo vermehren ſie ſi< in das Unglaubliche. Die zahlreichen, ſ<nell aufeinander folgenden Bruten finden zum Anlegen ihrer Neſtgänge an den Stellen, welche ſonſt vorzugweiſe dazu benußt werden, feinen Play Kräßmilbe des Menſchen (Sarmehr und ſind dann genötigt, ſie auh an den übrigen, für E gewöhnli<h verſchont bleibenden Körperteilen anzubringen.
Durch den beſtändigen Reiz, welchen ſie auf die Haut ausüben, erzeugen die Milben zugleich eine außergewöhnlih ſchnelle Neubildung der Oberhautelemente, während deren ältere, von zahlreichen kurzen Galerien und Löchern durchzogene Schichten mit den abgeſtorbenen Stammmüttern jüngerer Bruten abgeſtoßen werden, aber an den unterliegenden Schichten mittels der dur die poröſe Maſſe von unten durhſi>ernden Feuchtigkeit hängen bleiben. Jn dieſer Schorfbildung ſowie in der größeren Ausbreitung über den Körper liegt der Charakter der bei weitem ſelteneren, aber auh bösartigeren „Schorfkräße“ einer Form, wie ſie, jedo<h wieder von anderen Milben veranlaßt, bei unſeren Haustieren (Pferden, Schweinen, Hunden, Katen, Kaninchen) als „Räude“ zu verlaufen pflegt. Dieſe Form iſt bisher nur in wenigen Fällen, welche über ganz Europa zerſtreut waren, in der Regel an armen und ſ{<le<t genährten, ſtumpfſinnigen und apathiſhen Menſchen beobachtet
worden. Jn Norwegen, auf Jsland, den Faröern und auf Grönland, im ganzen ſolchen Gegenden, în denen die Bevölkerung ſehr unreinlich iſt, dürſte die Schorfkräße häufiger auftreten, und jedenfalls iſt ſie in früheren Zeiten, in denen das Heilverfahren der Krankheiten auf bedeutend niederer Stufe ſtand, noch verbreiteter geweſen; ob vielleicht die fabelhaſte „Läufeſucht“, von der ältere Schriftſteller erzählen, in einzelnen Fällen wenigſtens auf die in Rede ſtehende Krankheit bezogen werden müſſe, wer will und kann darüber endgültig entſcheiden?
N. Bergh ſtattet ausführlichen Bericht über einen von ihm beobachteten Fall der Schorffräßge ab, aus welchem nur einige auf unſere Milbe bezügliche Angaben hier folgen