Das Nordlicht. Bd. 1-2

in meiner kindlichen Privatmythologie für die italienische Einsetzung der Geschlechter bei den Gestirnen. Das Sonnenlicht war väterlich, die Erde mütterlich, der Mond unentschieden, aber mit stärkerem weiblichen Einschlag. Ich sah in unserm silbernen Nahgestirn etwa eine Traumgottheit: oft eine Amme, ja sogar Hebamme. Aber auch eine Vorstellung vom Arzt hatte schon sehr früh in diese kindlichen Einbildungen hineingespielt. Die Vorgänge bei Zeugung und Geburt waren mir bereits sehr früh verraten worden. Schlaf und Traum, somit der Mond, sind mir immer so rätselhaft und dadurch besonders wichtig vorgekommen. Die Nacht liebte ich vor allem, und schön lebte ich nur im Traum: den Mond hielt ich geradezu für den Retter des Lebens. Ohne ihn, sagte ich mir, mülte ja alles, was die Sonne hervorgezaubert, emporgesogen hat, sofort am Abend, bei Sonnenuntergang, verschwinden; bei Sonnenaufgang aber das Leben ganz neu und kurzfristig, ohne Zusammenhang mit seinem Gestern, wiederentstehen. Der Mond wurde mir zum ersten Architekten, da er eine silberne Brücke durch die Nacht, den Schlaf der Wesen, zu bauen imstande war. Aber genügte er zum hohen Aufbau bis zum Menschen, der in sich die Wesensart der Sterne fühlt und erkennt? Mir dem Kinde nicht! Ich sann weiter. Jemand hatte mir einmal gesagt, daß Sonne und Erde, vor furchtbar langer Zeit, eins gewesen wären. Ich spekulierte: jetzt sind Sonne und Erde getrennt: bevor die Scheidung eintrat, mußten diese, heute vor unserem Verstand und unsrer Sinnesart herrschenden Kräfte unterirdisch (zugleich und eigentlichst untersonnig), gewühlt, auseinanderzerrend gewirkt haben. Schließlich siegten sie. Und nun: die früher alle vom Mittelpunkt losstrebenden Gewalten im Zaume haltende Sonnenkraft ist jetzt zum großen Aufruhr geworden. Die Starrheit der Erde muß, von der Sonne aus, dereinst bezwungen werden. Und die Erde selbst gebiert aus sich

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