Die die Grundlagen der Physiognomik

keinen Fall an einem lebendigen, einzigen und einmaligen Wesen beweisen oder bezeugen können, das bedeute dies und ein anderes bedeute jenes, sondern, daß Sie sich zuerst in den Menschen verwandeln müssen und daß dieser verwandelte Mensch erst— und nur er — dann bedeutend sei. Es will mir scheinen, daß Dostojewski die Menschen so gesehen habe (zum Unterschied von Tolstoi), daß der Dramatiker sie so sieht (zum Unterschied vom Epiker). Dostojewskis Menschen sind keine Typen mit typischen Tugenden und typischen Lastern, sondern Erleuchtete und dann wieder Dunkle, ganz Bloßgelegte und dann wieder Verdeckte, keusch und zugleich wollüstig, aneinander gebunden durch das Schicksal und darum rasend. Daß sich der Dichter in sie verwandelt und daß sie also Verwandelte sind, ist genau die Aufwickelung ihres Schicksals. Wer vermöchte unter sie zu treten und den einen vom anderen zu trennen, den Sohn vom Vater, den heiligen Idioten Myschkin vom Mörder Rogoschin?

Der Mittelpunkt dieser Welt, der Mittelpunkt der Welt der Tragödie überhaupt, der Welt Shakespeares, Äschylos’, auch der Welt Beethovens ist imaginär. Die Mitte ist nicht im Ding, sondern im Ding und im Sehenden — das ist es, was

91