Die Klassengegensätze von 1789 : zum hundertjährigen Gedenktag der grossen Revolution

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Mit der Rohheit des Landjunkers hatte der Höfling auh deſſen Energie verloren. Ausdauernde, zielbewußte Arbeit, welcher Art immer, war ihm ein Greuel; er wollte ſi< amuſiren, und Kunſt und Wiſſenſchaft ſollten au< nur dieſem Zwe dienen. Die Höfe hielten ſich wie Narren und Zwerge au< Künſtler und Philoſophen. Natürlich durfte die Beſchäftigung mit der Philoſophie keine große Geiſte8arbeit verurſachen, dieſe mußte leiht, gefällig, wibig, amuſant vorgetragen werden.

Eine geſellſchaftlihe Theorie , die dieſe Bedingung niht erfüllte, oder die gar dem Hofe feindlih war, hatte in Frankreich noh in den erſten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts keine Ausſiht auf Beachtung. Jhre Jdeen mochten no< ſo großartig ſein, ſo lange die geſellſchaftlihen Bedingungen ihrer Aufnahme niht günſtig waren, konnten ſie ebenſowenig eine Wirkſamkeit entfalten, als das beſte Saatkorn, das auf einen Stein fällt, aufgehen kann.

Die oppoſitionellen Tendenzen des dritten Standes hatten unter dieſen Umſtänden nur wenig Gelegenheit, theoretiſhen Ausdru> zu finden. Am eheſten war dies no< mögli< in Bezug auf die Religion. Hofadel wie Bourgeoiſie waren der von Rom abhängigen Kirche in gleichem Maße feind. Es iſt jedoch karakteriſtiſh, daß die erbittertſten Angriffe der Philoſophen der Aufklärung in der erſten Hälfte des 18. Jahrhunderts niht den verrottetſten, veraltetſten feudalen Formen der Kirche galten, \ondern ihrer den modernen Verhältniſſen am beſten angepaßten Form. Durch die Macht abſtrakter Jdeen läßt ſi<h das niht erklären, wohl aber dur< die der Klaſſenintereſſen. Die alte, feudale, auf dem Grundbeſiß beruhende Organiſation der Kirche war in Frankreih längſt „national“ geworden. Nicht mehr der Papſt, ſondern der König ernannte ihre Würdenträger, verlieh ihre Pfründen, und zwar faſt aus\<ließli< an Mitglieder des Adels, wie wir geſehen. Das ließ ſih dieſer gern gefallen, ſo ſehr er der Religion ſpottete; Angriffe, welhe den Jutereſſen der Kirche unangenehm werden konnten, duldete er nicht.

Es gab aber eine fir<li<e Organiſa.ion, die niht in den Händen des Königs war, ſondern des Papſtes. Dieſer, ein Ausländer, verfügte über ihre reichen Einkünfte, und niht blos Franzoſen kamen ſie zu Gute, ſondern auh Ftalienern, Spaniern, Deutſchen u. \. w., denn der Orden war international. Und dieſe Einkünfte dienten niht dazu, die Privilegirten zu verſorgen, deun er kannte in ſeiner Mitte keine Standesunterſchiede und ließ