Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.
106 IV. Jm Dienſte der europäiſchen Reaktion.
ſer Franz zögerte nicht, ſeinen Miniſter zu dem ſ{hönen Siege zu beglücwünſchen Ÿ).
Aber das Glück iſt unbeſtändig; wer ſich vermißt, es feſſeln zu wollen, iſt ein Tor. Jm Januar des Jahres 1822 proklamierten die Griechen ihre Unabhängigkeit; ſie gaben ſich eine eigene Regierung. Jhnen kam nun die neue Taktik zuſtatten, die von der engliſchen Regierung befolgt wurde. Canning wandte dem Volke der Hellenen ſeine Sympathie zu und unterſtühte die aufſtändiſhe Nation in jeder Weiſe. Bitter mußte Metternich eingeſtehen, „daß er forthin nicht mehr in der faſt unbedingten Zuverſicht auf England verharren könne, die ihn bisher geleitet hatte“. Von London war das Heil jeht feine8wegs zu erwarten, und der ſhmiegſame Staatsmann ſah ſich gezwungen, andere Mittel zu verſuchen. Zar Alexander ließ ſih mit Mißtrauen gegen die Londoner Politik erfüllen und — allerdings bloß für wenige Monate — ganz von Öſterreich ins Schlepptau nehmen. Jm Herbſt 1823 hatte in Czernowitz eine Begegnung Alexanders mit Franz ſtattgefunden, während Metternich, der unterwegs erkrankt war, in Lemberg mit dem ruſſiſchen Diplomaten Neſſelrode eingehende Unterredungen führte. „Die Sache ſei vollſtändig beendigt“, ſhrieb der öſterreichiſche Staatskanzler befriedigt na<h Berlin.
Im Januar des Jahres 1824 richtete Graf Neſſelrode an die Großmächte die Einladung zu gemeinſamen Konferenzen in St. Petersburg. Jn einer Denkſchrift führte er aus, daß Rußland die Erneuerung ſeiner diplomatiſchen Verbindungen mit der Türkei von dem Einſchreiten der Staaten zugunſten der Griechen abhängig mache. Da die Pforte jedo<h niemals die Unabhängigkeit Griechenlands zugeben würde, bleibe nur ein Mittelweg zur Löſung des Problems übrig. Die Mächte ſollten die Bildung dreier griechiſcher Fürſtentümer verlangen, die unter der türkiſchen Oberherrſchaft zu bleiben und jährliche Tribute abzuführen hätten. Dieſer ruſſiſche Vorſchlag löſte in Wien einen niederſ<hmetternden Eindru> aus; aber auch in London fand er — freilich aus andern Erwägungen als in der Donauſtadt — keinen Beifall. Die St. Petersburger Konferenzen zogen ſich hin, ohne ein praftiſ<hes Ergebnis zu zeitigen. Sie wurden nur durch einen Theatercoup bemerkenswert, den Metternich aufführte. Der öſterreichiſhe Diplomat ließ in der Hauptſtadt Rußlands erklären, daß Kaiſer Franz die Errichtung griechiſcher
1) Adolf Beer. Die orientaliſche Politik Öſterreichs ſeit 1774. Prag 1883,