Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

959 Neueſte Geſchichte. 2. Zeitraum.

Verfaſſung unter einem Könige, der zugleich der Beherrſcher eines viel größeren abſoluten Staates war, und die Stiſtung des Freiſtaates Kra= kau können nit als glüdliche politiſche Kombinationen angeſehen werden. Sie waren, ohne NRücfſicht auf die inneren Zuſtände, nur von dem Bedürfniß nach einer Ausgleichung der verſchiedenen Anſprüche un= ter den Großmächten, eingegeben worden. Dieſe Schöpfungen trugen den Keim einer nicht fern liegenden Auflöſung in ſi<. Es war zu wenig, wenn man die Erinnerungen der polniſchen Nationalität in Betracht ziehen, und zu viel, wenn man dieſelbe allmälig erlöſchen laſſen wollte.

Im ſechſten Artikel des erſten pariſer Friedens war beſtimmt worden, daß die einzelnen deutſchen Staaten unabhängig, aber dur einen Bund unter einander vereinigt ſein ſollten. Dieſe Erklärung, die zuletzt na< mancherlei Umwegen verwirkliht wurde, verhinderte niht, daß anfängli<h ganz verſchiedene Meinungen und Abſichten über einen ſtaatli= <en Wiederaufbau Deutſchlands ſich geltend zu machen ſuchten.

In der großen Mehrheit der deutſchen Nation gab es damals keine beſtimmten politiſhen Ideen irgend einer Art. Die Maſſen hatten ſi auf den Nuf ihrer Fürſten gegen die immer drü>ender werdende Fremdherrſchaft erhoben, und hofften nach deren Beſeitigung auf beſſere Zeiten für Verkehr und Gewerbe. Weiter gingen ihre Gedanken niht. Der Inſtinkt der Nationalität war allerdings auc da, wo er lange geſ<lum= mert hatte, dur den Kampf gegen die Franzoſen wieder erwacht, aber der lokale oder territoriale Patriotismus, die Anhänglichkeit an die angeſtammten Regierungen blieb, dur Jahrhunderte lange Angewöhnung genährt, das Vorherrſchende in der Anſchauungsweiſe des Volkes. Das allgemeine Band der Nationalität ward weniger gefühlt, als die mit ein= ander erduldeten Leiden und zuſammen erfochtenen Siege hätten vorausſeßen laſſen ſollen. Die Trennung und Entfremdung der einzelnen Stämme und Staaten hatte zu lange gedauert, war zu tief in die Sitten und Einrichtungen eingedrungen, als daß eine ſo kurz dauernde Berührung und Vermiſchung, wie während des Befreiungskrieges, hierin eine plögliche Veränderung hätte hervorbringen können.

In den gebildeten Klaſſen der Nation regten ſi< allerdings Wün= ſche nah größerer Einheit des Ganzen und mehr Freiheit im Einzelnen, aber ſie fanden feinen Boden in den Gefühlen der Menge, und konnten deshalb in keiner entſchiedenen Geſtalt auftreten. Erſt ſpäter entſtand ein innerer Widerſpruch gegen das Beſtehende, der großentheils von dem auf n Univerſitäten und überhaupt in der Litteratur herrſchenden Geiſte ausging, aber anfänglich nur die Jugend ergriff. Die geringe Berük=