Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

292 Neueſte Geſchichte, 2. Zeitraum.

vorbereitete, und wohl wußte, wel<hen Werth der ehemalige König von Neapel für ihn auf dem Schlahtfelde und beſonders an der Spitze der Reiterei haben konnte, verwarf unerklärbarer Weiſe Murat's Anerbietun= gen, der gezwungen war, während der großen Ereigniſſe, die ſi bald zutragen ſollten, müßig und unter einem angenommenen Namen in der Nähe von Toulon zu leben. Napoleon, ſei es, daß er gegen ſeinen Schwager, ungeachtet der in Elba angeknüpften Verbindung, no< von Zorn erfüllt war, oder, was das Wahrſcheinlichere iſ, die Berührung mit deſſen Unglü> ſcheute, und nicht einen eben entthronten König in ſeiner Nähe haben wollte, handelte in dieſem Falle ſeinem eigenen Vortheile entgegen. Denn Murat, in dem Entſcheidungskampfe am 16. und 18. Juni die franzöſiſche Kavallerie führend, würde der Schlacht vielleicht eine andere Wendung gegeben haben, wie Napoleon ſpäter ſelbſt geſtanden hat. Es wird zur geeigneten Zeit Murat's perſönlichen Ausgangs gedacht werden.

Um dieſelbe Zeit, wo Murat, in der Hoffnung, die Krone Italiens auf ſein Haupt zu ſeen, an der Spie einer glänzenden Armee den Krieg begann, der ſo unglüd>li<h für ihn endigen ſollte, kam Ludwig XVIIL, aus ſeinem Lande vertrieben, mit kleinem Gefolge und einigen Freiwilligen ſeiner Garde in Gent an. Sein vertrauteſter Günſtling, der Graf und na<malige Herzog von Blacas, von ihm 1814 zum Miniſter des königlichen Hauſes ernannt, begleitete ihn und machte ſein ganzes Kabiz= net aus. Erſt ſpäter fanden ſi< einige ſeiner Miniſter ein, um auh während ſeiner Verbannung der Form nah eine Regierung zu bilden. Blacas, aus einer altadeligen, aber wenig ausgezeihneten Familie der Provence ſtammend, no< ſehr jung beim Ausbruh der Revolution ausgewandert, war ſchon in Verona, wo Ludwig XVIIL. den Tod ſeines Neffen erfuhr und von den Royaliſten als der re<htmäßige Herr= ſcher anerkannt wurde, in deſſen Nähe geweſen, hatte ſpäter alle Glüs= wechſel mit ihm getheilt, und war ihm unentbehrlih geworden. Blacas ſtand unter allen Umgebungen des Königs dem veränderten Geiſte der Zeit und den Ueberzeugungen und Bedürfniſſen des neuen Frankreichs am Fernſten da. Er that nicht nur ſo, ſondern er glaubte wirklich, daß die Epoche der franzöſiſchen Geſchichte von 1789 bis 1814 ohne Berechz tigung und Verbindlichkeit für die zurückgekehrten Bourbonen, und überhaupt ſo gut wie nicht vorhanden geweſen. Für ihn war Frankreich gewiſſermaßen nur in der Perſon des Königs und ſeiner Familie enthalten, und die Republik und das Kaiſerreich galten in ſeinen Augen für eine lange Empörung, die endlich beſiegt worden. Er hatte , ſich dem Willer