Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

Murat's Sturz und Flucht na< Frankreich. 291

zu drängen. Er that auh hier alles Mögliche, um den Feind auf= zuhalten, und war überall in den vorderſten Reihen und auf den ge= fährlichſten Punkten zu ſehen. Aber ſein Heer, dur< den nächtlichen Marſch in Verwirrung geſeßt, überall von überlegenen Kräften ange= griffen , löſte ſi<h am anderen Tage ſo auf, daß er nirgends mehr Stand halten konnte. Als er auf der Gränze ſeiner Staaten ankam, war er nux no von ſeinem Generalſtabe und einiger Reiterei umgeben, die ſi< in den folgenden Tagen ebenfalls zerſtreute. j

Während Murat fi< noh mit der Hoffnung trug, dur ſeine perz fönlihe Gegenwart neue Streitkräfte zu ſammeln, war ſein Schi>ſal ſcon entſchieden. Die Beſatzung der Feſtung Kapua, auf die er ſich be= ſonders verlaſſen, 6000 Mann ſtark, empörte ſich gegen ihre Officiere, zerſtreute fi< in der Umgegend , und verbreitete ihre Zuchtloſigkeit und Entmuthigung unter den Truppen, welche no< die Hauptſtadt und deren Forts inne hatten. Eine engliſche Flotte unter dem Kommodor Camp= bell erſchien vor Neapel , verlangte die Auslieferung der Schiffe und des Arfenals, und drohte im Weigerungsfalle die Stadt zu bombardiren. Die Lazzaronen waren zum Aufſtande bereit. Um dieſelbe Zeit kam Murat, m1 von wenigen Eetreuen begleitet, in dem Luſtſchloſſe Kaſerta an, wo er dieſe traurigen Nachrichten empfing. Er beauſtragte die Ge= nerale Carascoſa und Coletta, mit den Oeſterreichern über die Uebergabe der Hauptſtadt zu unterhandeln. Am Abend traf er ſelbſt in Neapel ein, wo er ſeine Gemahlin bereit fand, ſi< mit ihren Kindern an Bord eines engliſchen Schiſfes zu begeben, um nach Trieſt gebracht zu werden. Nach einem ſ{merzli<hen Abſchiev von dieſer Frau, die ihm von ſeiner Schild2 erhebung gegen die Oeſterreicher abgerathen hatte, jet aber deren Folgen mit großer Seelenſtärke ertrug und ihn aufzurichten ſuchte, verließ er am andern Morgen verkleidet und nur mit zwei Gefährten den Palaſt unid die Stadt, wo er ſieben Jahre lang als König gewaltet hatte. Er irrte am Strande von Puzzuoli umher, bis er eine Barke fand, die ihn nah der Inſel Ischia brachte. Dort wurde er von einigen treuen Anhängern er= reiht, und vernahm die Nachricht von dem Einzuge der Oeſterreicher in Neapel. Er ſegelte nah Frankreih und landete am 28. Mai an derſel= ben Stelle, wie Napoleon zwölf Wochen vorher, ſo, als hätte er in jeder Beziehung in deſſen Fußtapfen treten wollen.

Murat wagte es niht, in Erinnerung ſeines Abfalles von ſeinem Schwager und Wohlthäter im vorigen Jahre, ſi< ohne Weiteres nah Paris zu begeben, ſondern ſhrieb an Fouché, um durc dieſen Napoleon ſeine Dienſte anbieten zu laſſen. Napoleon , der ſich eben zum Kampfe

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