Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

296 Neueſte Geſchichte. 2. Zeitraum,

u. Als man bemerkte, daß es Napoleon niht gelang, eine allgemeine Bewaffnung hervorzurufen, als man ſeine Bedenklichkeiten und Zöge= rungen gewahrte, und ihn von den Konſtitutionellen überwacht und be= ſchränkt ſah , verbreitete ſi< in den aufgeklärten Klaſſen die Meinung, daß ſeine zweite Herrſchaft niht von Dauer ſein werde. In Folge deſſen kamen allmälig immer mehr Anhänger der Bourbonen oder au ſole, die nur dieſe Rolle in Hoffnung auf ſpätere Belohnung ſpielten, in Gent zuſammen. Auch eine Anzahl der aufgelöſten Garden des Königs ſammelte ſich in der Nähe ſeiner Reſidenz, und wurde unter den Befehl des Herzoges von Berry und des Marſchalls Marmont geſtellt, der, nebſt Augereau und Talleyrand, von Napoleon geächtet war. Die erſter Publiciſten Frankreichs, Chateaubriand, Bertin, Beugnot, Guizot, vereinigten fi zur Herausgabe eines Journals: „le Moniteur de Granc“ genannt, worin die Principien der Legitimität, aber in Verbindung nit der von Ludwig XVII. verliehenen Verfaſſung gebracht, mit groß:m Talent vertheidigt wurden. Da Napoleon es niht wagte , eine militai= riſche Diktatur an ſi zu reißen, überhaupt im Innern keine kräftigen Vertheidigungsmaßregeln gegen die ihm feindlichen Parteien traf, ſo verbreiteten ſi< die in Gent ausgeſprochenen Meinungen dur ganz Frankrei und gewannen dem Königthum immer mehr Anhang. Ludwig XVII. war in ſeiner Privatwohnung in Gent bald von mehr ausgezeihneten Namen , die militairiſchen ausgenommen, als Napoleon in den Tuileries umgeben. Aber mancherlei Meinungsverſchiedenheiten und ſelbſt Nänke ſhwäcten den Einfluß der Ideen, die von Gent aus auf Frankreich über-= gingen. Die unverbeſſerlihe Partei der Ultraroyaliſten, den Grafen von Artois an der Spitze, arbeitete, ſo viel ſie konnte, den freiſinnigen Ueber= öéugungen des Königs entgegen, und ſuchte ihm die Wiederherſtellung des Abſolutismus als den einzigen Anker des Heiles darzuſtellen. Seine Miniſter fanden ſi deShalb zu einer von Chateaubriand verfaßten Ex-= klärung an ihn veranlaßt, die zugleich als ein Manifeſt an die Nation gel= ten konnte, worin ſie ihm zwar eine bis zum Tode gehende perſönliche Treue gelobten, aber ihre Stellen aufgeben zu müſſen drohten, wenn ſeine Politik nicht mit der Konſtitution übereinſtimmen würde. Aber Ludwig XVIIL, war, fo ſehr ihn auch ſeine zweite Verbannung und die Unterwerfung der großen Mehrheit des Volkes unter Napoleon verleßt haben mochte, zu aufgeklärt, um die Erneuerung einer unumſchränkten Monarchie in Frankreih für möglich zu halten. Er verſicherte im Gegentheil bei jeder Ge= legenheit ein unverbrüchlihes Feſthalten an der von ihm 1814 einge= ſ<lagenen Bahn.