Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

298 Neueſte Geſchichte. 2. Zeitraum.

begünſtigt hätte, ſchr bald deſſen Rückkehr zu dem früheren Syſtem ge= ſehen haben. Für Napoleon war, ſeinen Charakter, die Art, wie er ſi der Regierung bemächtigt und ſie fo lange ausgeübt hatte, in Betracht gezogen , eine beſchränkte und getheilte Herrſchaft eine Unmöglichkeit ge= worden, und er rief dur den Verſuch ihrer Einführung nicht nur eine Menge von Hinderniſſen gegen ſich hervor, ſondern ſ<wächte auch den Eindru> ſeiner perſönlichen Größe. Die einzige Möglichkeit der Rettung für ihn wäre die Annahme einer militairiſchen Diktatur, ohne alle andere Dazwiſchenkunft, geweſen. Er hätte in dieſem Fall ſeine ganze Aufmerk= ſamkeit auf die Vorbereitungen zum Kriege richten können, während er ſo genöthigt war , zugleich an die Beſiegung des Widerſtandes im Innern zu denken. Die in den höheren und mittleren Klaſſen vorhandene mo=raliſche Oppoſition gegen ihn wäre nicht zu einer politiſchen geworden, wenn er niht die Formen eines konſtitutionellen Souverains hätte an=nehmen wollen. Eine unzähmbare Herrſchſucht hatte ihn in Frankreich landen laſſen, und die Begeiſterung des Heeres ſeinen Thron wiederher= geſtellt. Er mußte ſi deshalb auch einzig, ſo lange er von außen be= droht wurde, auf die Waffen verlaſſen, und keine andere nationale Re= präſentation als ſein Kriegsvolk gelten laſſen. Da ſein Unglü> nicht ſeine Ueberzeugungen verändert hatte, und er ſich nie aufrichtig zu den Grundſätzen der Freiheit bekannt haben würde, ſo war die Haltung , die er während der hundert Tage annahm, ein trügeriſhes Spiel , das ihn mit ſi< ſelbſt in Widerſpruch ſette, ſeine Stellung no< ſ{wieriger machte, und einen ſchnelleren Sturz für ihn herbeiführte, als ſonſt der Fall geweſen ſein würde.

Napoleon hatte mit innerem Widerſtreben, aber von ſeinen Umge= bungen gedrängt , in eine Veränderung der Verfaſſung des Kaiſerreiches eingewilligt, die der Volksvertretung einea ausgedehnteren Antheil an der Geſeßgebung und den einzelnen Bürgern mehr Sicherheit für ihre Per= ſonen gewähren ſollte. Er bediente ſi zu dieſer Arbeit eines geborenen Wadtländers , Benjamin Conſtant, der aus einer adeligen, durc die Aufhebung des Edikts von Nantes flüchtig gewordenen franzöſiſchen Faz milie ſtammte, während der Revolution aber in Frankreich naturaliſirt worden wax. Benjamin Conſtant war unter dem Konſulat mit der konz ſtitutionellen Partei, auf die Frau von Staël großen Einfluß ausübte, und , mit dieſer ſelbſt in Verbindung getreten, dur ſeine Oppoſition im Tribunat Napoleon mißfällig geworden, ragte aber mehr dur Geiſt und Kenntniſſe als dur< Charakter und Moralität hervor. Obgleich von Natur frei und edel geſinnt, war er doh nicht abgeneigt, entgegengeſebten