Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

Napoleon am Morgen des 18. Juni. 315

im vergangenen Jahre, und das Bourmont's in dieſem Augenbli>e ließ Alles als mögli erſcheinen.

Napoleon wandte den Ueberreſt des Tages dazu an, um das Schlacht= feld kennen zu lernen, und die Nacht, um ſeinen Schlachtplan zu über= denken.

Die franzöſiſche Armee hatte die Nacht vom 17. zum 18. Juni auf dem dur<näßten Boden bei Feuern zuaebracht, die von dem Regen alle Augenbli>e ausgelöſcht wurden. Napoleon ſelbſt war ſchon vor ſeiner Abreiſe von Paris leidend geweſen, und ſein Zuſtand hatte ſih ſeitdem nicht verbeſſert. Das Reiten wurde ihm ſ{<wer. Als jedoh der Tag des 18. Juni anbra<h, der für immer über ſein eigenes und für lange Jahre über Frankreihs Geſchi> entſcheiden ſollte, war unter den Soldaten jede Spur von Ermüdung verſchwunden , und Alles erhob ſi< mit der Hoff= nung auf einen großen Sieg. Napoleon hatte ſeine Anordnungen \o getroffen , daß dieſe Ausſicht für wahrſcheinlich gelten konnte. Er durchritt langſam die Reihen ſeiner Truppen, ſo, als wolle er jedem Soldaten perſönlich ſeine Sache an das Herz legen. Ein endloſer Jubel empfing ihn. Sein Anſehen war zuverſichtlich, aber niht heiter. Die Er= wartung der großen Entſcheidung, die er hervorgerufen , hatte ſein Weſen nuo ernſter als gewöhnlich geſtimmt. Er fühlte aber diesmal vielleicht atlehr als je, daß er der Abgott ſeiner Krieger war. Denn dieſe hatten niht für Frankreich, ſondern einzig für ihn zu den Waffen gegriffen. Je länger ſie ihn betrachteten, je höher ſtieg ihre Bewunderung für ihn. Bez ſonders die alten Soldaten, die in dieſem Feldzuge zahlreih waren, zum Theil eben erſt aus der Gefangenſchaft zurü>gekehrt, konnten ſi< nicht ſatt genug an ihm ſehen. Ihr Zuruf klang weit bis zu den engliſchen Linien hin. Das Heer ſchien von einem einzigen Gedanken, Alles für ihn wagen zu wollen, erfüllt zu fein. Wäre es Napoleon möglich geweſen, unmittelbar während dieſes Sturmes von Begeiſterung auf den Feind lo8zugehen , ſo wäre der Kampf wahrſcheinlich bald entſchieden geweſen. Denn dieſem erſten Feuer, das die Kraft wie den Muth verdoppelt, wäre ſchwer zu widerſtehen geweſen. Aber die Engländer ſtanden auf Anhöhen, die von den Franzoſen erſt erſtiegen werden mußten, wurden von einer zahlreichen Artillerie gede>, und ihre Stellung ſezte dem ungeſtümen Andrange ihrer Gegner alle möglichen natürlichen und künſtlichen Hinder= niſſe entgegen.

Napoleon's Abſicht war, das engliſche Centrum, welches auf dem Plateau, Mont St. Jean genannt, ſtand, zu dur<hbrechen, den linken engliſchen Flügel von Grouchy, den re<hten von d'Erlon und Reille auf=