Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

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354 Neueſte Geſchichte. 2, Zeitraum.

Bei der erſten in Europa eintretenden Veränderung wlüirden jene abges trennten Gebiete des alten Frankreichs, um zu ihrem früheren Verbande zurü>zukehren, das Aeußerſte gewagt, und den Frieden Europa's mehr bedroht haben, als wenn man ſie bei Frankreich gelaſſen hätte. Selbſt die erſt unter Ludwig XIV. und Ludwig XY. mit Frankreich vereinigten Provinzen, wie Elſaß und Lothringen, würden ſi< niht mehr freiwillig an eine andere Regierung und Verfaſſung gewöhnt haben. Auf der anderen Seite wäre es den Großmächten nicht möglich geweſen, das franzöz ſiſche Volk beſtändig zu überwachen, und an jedem Verſuch zu einer Wie= dervereinigung mit den verlorenen Gliedern zu hindern. Indeſſen ſtand Frankreich eine Zeit lang wirklih in Gefahr , an ſeiner Nord=- und Oſt= gränze bedeutend verkleinert zu werden. Die Unterhandlungen mit Tal= leyrand ſchienen zu keinem Abſchluſſe zu führen. Die verbündeten Mächte, namentli< Rußland und Preußen, erinnerten ſi, lettere des am 3. Ja= nuar 1815 gegen ſie auf ſeine Veranſtaltung abgeſchloſſenen Bündniſſes, die übrigen feines zweideutigen Charakters und ſeiner we<ſelvollen Laufbahn, und trauten ihm niht. Talleyrand ſelbſt war niht geneigt, die Verantwortlichkeit für die großen von Frankreich verlangten Opfer auf ſich zu nehmen, und ſuchte Alles in die Länge zu ziehen.

Während dieſer Zeit gingen in Frankreich die Wahlen für die De<= putirtenkammer vor ſich. Bei dieſer Gelegenheit zeigte es ſich, wie wenig die höheren und mittleren Klaſſen der Nation, denn die Maſſe fand ſih dur den zur Ausübung des Wahlrechts vorgeſchriebenen Cenſus ganz aus8geſchloſſen, bonapartiſtiſh geſinnt waren. Ueberall wurden die entſchiedenſten Anhänger des alten Königsſtammes zu Deputirten ernannt. Die Royaliſten, dur die Auflöſung der Loirearmee und die Anweſenheit der fremden Heere gegen jeden Angriff ihrer Gegner geſichert, kannten in: ihrem Eifer keine Gränzen , und drangen auf eine ſ{hnelle und nahdrü>= liche Rache an den Urhebern und Anſtiftern der zweiten Vertreibung des Königs, auf Geſeße und Einrichtungen , welche der Wiederkehr einer ſol= cen Kataſtrophe vorbeugen ſollten. Aber auch viele Perſonen, die weder vorher no< nachher beſondere Anhänger des Königsthumes geweſen, \{<loſſen ſi< in jener Epoche der antirevolutionairen und antibonaparti= ſtiſchen Partei an, und waren zur Begünſtigung der reaktionairſten Maß=regeln bereit, Dieſe Geſinnung ging vornehmli<h von dem unter dem Einfluſſe des Grafen von Artois und ſeiner Günſtlinge ſtehenden Theile des Hofes aus, und verbreitete ſich mit außerordentlicher Schnelligkeit im ganzen Lande, ohne Rü>ſicht darauf , daß ein ſolhes Svſtem über lang oder kurz ein entgegengeſeßtes hervorrufen mußte.