Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

furche gleichsam besiegelt wird. Trotzdem fehlen auch die Andeutungen einer sich gut einkrümmenden Nasenlippenfalte, sowie der dritten, abwärtsführenden Mundfurche nicht, die ein starkes Gefühlsleben verbürgen. Beim Zusammenprall solcher Gefühlsgegensätze kehrt die Seitenspannung der Mundwinkel ihre Triebnatur deutlich hervor und verrät als dramatischer Einschlag die tiefe Beziehung ihres Trägers zu den menschlichen Affekten und Leidenschaften. Ein solcher Mensch muß nicht notwendig Dramen schreiben, er kann sie auch erleben und anderweitig den Kampf der Leidenschaften zu seinem Thema machen; und wer möchte Spinoza von seiner Affektenlehre trennen? Diese offenen Ordneraugen überwinden die Affekte eben dadurch, daß sie sie unter dem Gesichtspunkt des Ewigen, sub specie aeterni sehen.

Spinoza schöpfte die Anregung zu seiner Affektenlehre aus der des Descartes. Und wir finden tatsächlich auch an dessen Porträt (VI, 1) die stark seitlich gespannten Mundwinkel; nur sind die Willenszüge schwächer, die intellektuellen stärker ausgebildet. Der Mund ist weniger geschweift, so daß der Gefühlsbezug abgeschwächt ist; nicht so sehr die Überwindung von Gefühlswerten als vielmehr die Unabhängigkeit von ihnen wird hier angestrebt, wenn es um die Entscheidung zwischen Zuwendung oder Abweisung geht. Die Augen sind ziemlich abgedeckt, wie das breite Oberlid beweist, Brauen und Stirn aber sind sichtlich hochgezogen; wir kennen diese scharfe Betrachtung von Gegenständen bei offener Denkeinstellung schon vom Ausdruck der Stirn her als typische Urteilsstellung. Es ist also der Urteiler, der frei von Gefühlswerten sich die Entscheidung über Ja und Nein vorbehält, mit einem Wort der Skeptiker, der Zweifler Descartes, der, wie in dieser ganzen Physiognomie, sich auch in den seitlich gespannten Mundwinkeln ausspricht.

Wie das Dramatische sich ausdrucksphysiognomisch äußert, nämlich als Angriffszange einer triebmäßig verstärk-

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