Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

1. Die Beiß- und Kaumimik (Tabelle 11)

Die Kaumuskeln (der große Kaumuskel oder Masseter, der Schläfenmuskel — Fig. 9 — und die innerlich gelegenen Keilbein-Flügelmuskeln) sowie die der Öffnung der Zahnreihen dienenden, in unsrer Aufzählung ebenfalls nicht enthaltenen Halsmuskeln gehören zwar nicht zu den mimischen Muskeln im engeren Sinne, sind nämlich unter deren eigentlicher Schicht gelegen, entspringen an Knochen, z. B, am Jochbein, und greifen auch wieder an solchen, z. B. am Unterkiefer an. Dennoch ist es unrichtig, ihnen, wie es Krukenberg tut, deshalb jede Bedeutung für die Mimik abzusprechen; sie sind natürlich der Ausdrucksbewegungen ebenso fähig wie alle anderen Muskeln des Körpers; so tief sind sie jedenfalls nicht verborgen, daß man sie nicht auch durch die oberflächlichen Hautmuskeln spürte und sähe.

Die Kaumuskeln gehören zu den stärksten Muskeln des ganzen Körpers und leisten bei der Nahrungsaufnahme die Hauptarbeit. Verschiedene Menschen legen nun dieser ein verschiedenes Gewicht bei und so wird sie geradezu ein Symbol für die Wertschätzung des Materiellen selbst und der Methode, sich seiner und nachher auch der geistigen Werte zu bemächtigen. Wenn einer derb zupackt, so wird das seinen Kaubewegungen ebenso seinen Stempel aufdrücken wie seinen übrigen Handlungen.

Für die Ausdrucksfunktion gilt, wie für jede andere, daß sie durch Übung ihre Organe kräftigt, durch Vernachlässigung sie verkümmern läßt. Das Zupacken der Kiefer wird auf die Dauer die Kaumuskeln stärker entwickeln, ja sogar ihre Ursprungs- und Ansatzstellen, Jochbein (die „Backenknochen“) und Kiefer, so daß die Unterpartie des Gesichts mehr hervortritt. Weil hier die Funktion eine fast völlig mechanische ist, so ist die Wechselwirkung zwischen Körperform und Ausdruck eine sehr durchsichtige; deshalb können wir

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