Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Ausdruck bei Byron (Fig. 14). Bei der Frau vom Piz Palü (XI, 2) mischt sich Abscheu in das Grauen. Die Bitterkeit der Enttäuschung wird daraus bei Nansen (XII, 4), die des Leidenskelchs im tiefsten Sinne beim Christkind und den Engeln der Sixtinischen Madonna (Tafel V).

Der genießerische Zug

Wenn wir den Mund Goethes auf der Kreidezeichnung Burys von 1800 (II, 3) betrachten, erkennen wir, daß die bisher gegebene Einteilung der Geschmackszüge viel zu armselig ist. Goethe hat auf diesem Bild einen feinschmeckerischen Mund, von dessen Ausdruck man kaum sagen kann, er sei bloß ein Gemisch von süß, sauer und bitter. Dieser Mund hat eben alles Mögliche verkostet, auch Brennendes, Beizendes etc. und sich auch dagegen nicht rein empfangend, sondern reaktiv verhalten.

Allerdings handelt es sich nun nicht mehr um reine Geschmacksempfindungen. Allein das, was wir den Geschmack etwa eines Bratens oder auch des Weines nennen, ist in Wirklichkeit eine höchst komplexe Wahrnehmung, zunächst aus den vier Grundgeschmacksempfindungen, dann aber aus allen möglichen Geruchswahrnehmungen (wer wüßte nicht, daß einem bei Schnupfen auch keine Speise schmeckt!), Tastempfindungen (fest, flüssig, mürbe), Temperaturempfindungen, Schmerzempfindungen (eben brennend, beißend), gemischt. Worin besteht nun der genießerische Zug? Der Schmecker kostet und ißt, es mundet ihm wohl, er sagt „ah!”, Lustempfindungen lassen ihn den Mund aufreißen, die Augen zukneifen, die Lippen ablecken, sie schmatzend aufeinanderpressen und wieder öffnen wie beim primitiven Essen überhaupt (Knopp Fig. 32). Die affektive Betonung fügt noch den schmachtenden Ausdruck hinzu (Titze-Tante XI, 7). Und der kultivierte Gourmand verhält sich schließlich, wenn auch

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