Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

ist sehr lebhaft, er ist der Spiegel einer lebhaften Seele. Das Feuer des Blickes wird noch erhöht durch die um einiges gegen den oberen Rand gedrehten Augäpfel, die dem Selbstvertrauen und dem idealistischen Schwung ihre Richtung verdanken. Diese Lebhaftigkeit ist bei der Mädchengestalt Lina (IV, 7), da die empfangsbereite Einstellung der offen blickenden Augen nicht durch gerunzelte Brauen gestört wird, zu einer gewissen Ruhe abgedämpft. Es ist mehr ruhi- _ ges Abwarten in diesem Blick, so wie es der Festigkeit der ganzen Einstellung entspricht. Umgekehrt liegt eine gewisse ziellose Unruhe in den Augen der Mädchengestalt Darling (IV, 4); wahrscheinlich wird es auch ihrer allgemeinen Einstellung zur Welt schwer werden, ein bestimmtes Ziel zu finden und eine feste Haltung zu gewinnen.

Wir bemerken also, daß man von der Einstellung der Augen auf die Einstellung des Individuums zur Umwelt schließen kann. Der Kontakt mit der Umwelt kann alle Grade durchlaufen von der vollen sympathischen Zuwendung bis zum scharfen Einzelkontakt in Angriff oder Abwehr und dann wieder bis zur völligen Fluchteinstellung und Abwendung von der Welt.

Wird diese Einstellung zur Gewohnheit, und das kann man auf einem Bild oft gut erkennen, so kann man daraus Rückschlüsse nicht nur auf den momentanen Gemütszustand, sondern auf den ganzen Charakter ziehen. Der Maler und Satiriker Busch hatte in der Zeit, da er Lenbach Modell saß, sicherlich weder Anlaß zu einer scharfen Beobachtung noch auch zur Betätigung seiner ebenso scharfen Satire.

Hingegen sieht man es vielen Amateuraufnahmen an, daß sie aus einer natürlichen, aktuellen Situation entstanden sind. Das Baby I, 2 beobachtet sicherlich in diesem Augenblick einen ganz bestimmten Gegenstand in der Höhe, der seine Aufmerksamkeit erregt, etwa einen Vogel oder ein Flugzeug. Aber der weitgeöffnete Blick, der für diese Einzel-

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