Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

mit Welt und Menschen ist vorhanden, nur tritt er mit der erstarkenden Persönlichkeit, die auch etwas für sich beansprucht, in Wettbewerb. Wir haben es nicht mit einer Pflichtmaschine zu tun, sondern mit einem selbständig wertenden Menschen, der auch Pflichten gegen sich selbst kennt, was aber seine Treue und Verläßlichkeit durchaus nicht einschränken muß. Hier zeigt sich uns der Weg zu Kompliziertheiten, denen unsere kleine Musteranalyse noch nicht gewachsen zu sein braucht,

Doch ein Blick auf Michaela IV, 1, die dieselbe Person wie IV, 2, nur um zehn Jahre jünger zeigt (mit 25 statt mit 35 Jahren) gibt uns sogleich näheren Aufschluß und zugleich ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, die Charakterdeutung einer Person nicht nach einem einzigen Bild vorzunehmen. Auf diesem früheren Bilde fehlt nämlich noch zum größten Teil jene starke persönliche Gefühlsbeimengung. Wir wissen jetzt zu würdigen, was es heißt, daß bei völliger Zuwendung zum Betrachter die Augen eine ganz ruhige und doch kräftige Kontaktstellung zeigen. Die Mundwinkel sind noch entschiedener seitlich gerichtet als beı IV, 2. Das Geschmacksgemisch des Mundes ist noch strenger und fast herb zu nennen. In der schlichten Einfachheit dieser Gestalt, die uns zu der bei IV, 2 vorhandenen Willensstärke und Widerstandskraft nunmehr auch Wirklichkeitssinn und Kontakt ohne jede Lockerung hinzufügt, bietet sich uns ein Musterbild jener unbedingten Zuverlässigkeit, die das Merkmal eines durch und durch reinlichen Charakters ist. Eine Einfachheit, die dieses Gesicht für eine Musteranalyse so geeignet und verlockend erscheinen ließ.

Wir haben hier ein Hilfsmittel angewandt, das sich uns später als eines der mächtigsten erweisen wird: die vergleichende Physiognomik. Ähnliche Gesichter wurden nebeneinander gestellt, gleichartige Züge verdeutlichten sich auf diese Weise, verschiedene fielen um so lebhafter

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