Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

IV. Heranziehung anderer Zweige der Charakterforschung.

Die Graphologie

Sind wir mit unsrem physiognomischen Latein (zu dem nunmehr unser Fibel-ABC der Einleitung immerhin schon gediehen ist) zu Ende, so sind wir noch immer nicht mit unserer Aufgabe fertig. Es handelt sich uns ja nicht um ein Steckenpferd oder Gesellschaftsspiel, unser Zweck ist, Charaktere zu erforschen, und hieran müssen wir eben alle Mühe wenden; wir sind sogar bereit, über die Grenzen der Phy- siognomik hinauszugehen. Gewöhnlich aber kehrt man nach jedem solchem Streifzug durch andere Gebiete mit neuen Erfahrungen auch wieder zur Physiognomik zurück.

Es ist eine selbstverständliche Forderung, daß wir auch sonst das Verhalten unsrer Versuchsobjekte beobachten, uns mit ihrer Lebensgeschichte vertraut machen, uns in ihre Leistungen vertiefen. Wir werden, wenn dies angeht, ihnen auch tiefenpsychologisch nähertreten. All dies nicht aus müßigem Spiel oder Leichtfertigkeit, denn man möge nicht glauben, daß sich in einer einzigen Erscheinungsweise der Charakter erschöpfend offenbaren könne, und die verschiedenen Erscheinungsweisen sind so wenig restlos in einander übersetzbar wie die einzelnen Sprachen des Erdkreises. Der menschliche Ausdruck ist steuerungszentriert und reizorientiert (vgl. über die Verteilung des Ausdrucks), d. h. wir können in günstigen Fällen die Trieb- und Willenseigenschaften, die Gefühls- und Wahrnehmungsfähigkeit eines Individuums und viel von seinen geistigen Fähigkeiten erdeuten, ebenso auf der anderen Seite die Natur der Reize, welche gewöhnlich auf die Persönlichkeit einwirken, sowie den Kreis, dem sie angehören, sei es die Persönlichkeit selber, die soziale Umgebung, die erweiterte Kultursphäre. Wir werden angeben können, ob mehr bewußte oder mehr un-

bewußte Reize die Physiognomie bilden geholfen haben, wir

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