Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

perform gar kein Gewicht beizulegen, da sie doch mit angeborenen Charakterzügen in physiologischem Zusammenhang steht. Dieser Zusammenhang von Körperform und Charakter hat aber erst in einem viel späteren Zeitpunkt seine methodische Behandlung erfahren.

Die Gallsche Schädellehre

Einer dieser Zusammenhänge wurde um das Jahr 1800 herum von Franz Josef Gall gefunden. Erst seit ihm begriff man endgültig, daß die geistigen Fähigkeiten des Menschen im Gehirn „ihren Sitz“ haben, was bis dahin keineswegs eine Binsenwahrheit gewesen war. Noch in den Memoiren Casanovas können wir lesen, daß das Gehirn gleichsam eine Drüse ist, die im allgemeinen Säftestrom des Blutkreislaufs, aber auch des Samenergusses eine gewisse Rolle spielt. Gall ordnete nicht nur das Gehirn der Seele zu, sondern sogar jeder seelischen Fähigkeit eine bestimmte Stelle des Gehirns. Damit ging er nicht fehl, denn wir wissen heute, daß die Großhirnrinde tatsächlich in ihrer Vorderseite den Bewegungs-, in ihrer Hinterseite den Sinnesorganen in allen Einzelheiten zugeordnet ist und daß auch die höheren seelischen Funktionen ihre Steuerungszentren in gewissen Feldern der Großhirnrinde besitzen (Fig. 3), die uns unter dem Mikroskop ihre mannigfaltige Feinstruktur zeigen. Auch hier aber stellte sich Gall den Zusammenhang zu einfach vor und beging eben jenen Fehler, der als typisch schon zu allem Anfang von uns erwähnt wurde: er glaubte, schon etwa an gewissen Erhöhungen, in der Gestaltung jedes Fleckchens der sich der Hirnoberfläche anschmiegenden Schädelkapsel Kennzeichen für sehr komplizierte Charaktereigenschaften, wie Kindesliebe, Freiheitssinn usw. zu erblicken (Fig. 4). Dadurch bot er zwar der

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