Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

6. Der alte Fritz (Von Wilhelm Busch)

dernen Kretschmer-Schule, auf die wir bald zu sprechen kommen. Piderit unterschied also schon dreierlei äußerlich sichtbare und einander überlagernde Zuordnungen der Leiblichkeit zum seelischen Geschehen: Körperform, Physiognomie und Mimik.

Wichtiger noch ist eine andere Leistung Piderits. Er erkannte die symbolische Natur des Ausdrucks. Aller Ausdruck geht von den Sinnen aus und ist anfangs nichts anderes als die Einstellung auf sinnliche Reize, auf wirklich gesehene, gerochene, getastete, geschmeckte Dinge. In demselben Maße aber, wie der Mensch eine innere Welt in sich aufbaut, lernt er diese auch mit dem geistigen Auge sehen, und er steht auch ihr gleichsam riechend, tastend, schmeckend gegenüber. Wir sprechen von der „süßen Liebe“, vom „sauren Apfel“, vom „bitteren Leiden“, wir sehen in der Erinnerung, in der Phantasie unwirkliche Gebilde, keineswegs mit unseren leiblichen Augen. Aber seltsam: der Gesichtsausdruck stellt sich so ein, als ob wir konkrete Eindrücke empfingen: wir rümpfen die Nase, auch wenn wir eine geistige Atmosphäre abweisen. Dies ist der Satz von Piderit über die

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