Griechische Bildwerke : mit 140, darunter etwa 50 ganzseitigen, Abbildungen

Versehen leicht ausgleichen, es fehlt der erhitzende Anreiz, den das echte Material immer auf den Künstler ausübt.

Anders beim Marmor. Hier tut jeder Hieb endgültige Wirkung, jede Furche, die der laufende Bohrer gräbt, muß bleiben, wie sie einmal gerillt ist, und der kristallische Stein zeigt alle seine Tugenden und Tücken unter der arbeitenden Hand.

Die Vortrefflichkeit eines Bronzewerkes beruht offenbar mehr auf dem feinen künstlerischen Verstande, die Vollkommenheit der Marmorarbeit weit unmittelbarer auf der Sicherheit augenblicklicher Inspiration, auf der Fehllosigkeit des technischen Genies.

Die Bronze ist der herbere mehr männliche und verschlossene, der Marmor der zartere, mehr weibliche und offene Stoff. Überall in Griechenland wurde meist von den gleichen Künstlern in Marmor und in Bronze gearbeitet, doch haben augenscheinlich von Anfang an die beweglichen lonier den anmutigen Marmor, die bedächtigen Dorer die ernsthafte Bronze vorgezogen.

Von besonderer Bedeutung ist endlich noch ein Unterschied im Charakter von Marmor und Bronze in der Entwicklung des plastischen Stils geworden, der den Aufbau und die Erscheinung der Bildwerke im großen mitbestimmt.

Die hohlgegossene, daher verhältnismäßig leichte Bronze verträgt und fordert eine luftige ausgreifende Gliederung der Figur (denn es ist allgemein gültiges Stilgesetz, daß die Möglichkeiten jedes Materials bis aufs Äußerste ausgenutzt werden, weil erst dann sein eigentümlicher Charakter ganz zur Geltung kommt). Der massive lockere Marmor dagegen widersetzt sich allzu kühnen Durchbrechungen und Ausladungen.

Freilich haben auch die Griechen schon den Marmor gestückt, etwa einen ausgestreckten Arm dem Torso angefügt, das blieb aber Ausnahme. Regel ist, daß der Bildhauer sich sparsam innerhalb der Grenzen des Blockes hält, und aus diesem freiwillig übernommenen Zwang folgt „das großartige Zusammensein, die Ruhe der plastischen Formen‘, die den griechischen Bildwerken den selbstgenügsamen Zug

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gibt. Das Auge ist überall imstande, den ganzen plastischen Gehalt mit einem Blick zu umfassen.

Fast überall, wo ein Bronzewerk in Marmor kopiert wurde, mußte der Kopist sich entschließen, den Eindruck störende, ja vernichtende Stützen anzubringen, oder Verbindungsstücke stehen zu lassen, die den Stand beengen und die Glieder fesseln.

Naturgemäß haben sich die Besonderheiten des Bronze- und Marmorstiles erst im Laufe der Entwicklung so klar herausgebildet. Es geschah in dem Maße, wie die Künstler mit der Natur ihres Materials vertraut wurden. Eine Zeitlang floß beider Art ineinander, ja die freiere Haltung der Bronzewerke hat augenscheinlich mitgeholfen, die Marmorfigur aus ihrer anfänglichen Starrheit zu befreien: die ofien gegliederten äginetischen Figuren weisen nach der ganzen Art der Formbehandlung darauf hin (5. 6. 9).

Später trennten sich die Wege immer klarer. Der Diskuswerfer Myrons (28), der Speerträger Polyklets (58), der Apoxyomenos des Lysipp (95) — uns alle nur in Marmorkopien bekannt —, sind Werke im reinen Bronzestil: bei aller Verschiedenheit des Einzelnen, die sich aus den Unterschieden der Entstehungszeit und dem verschiedenen Temperament der Künstler erklärt, ist ihnen die Knappheit der Modellierung, die offene Haltung und die zeichnerische Klarheit des Umrisses gemein. Ihnen stehen die Giebelfiguren des Parthenontempels als klassische Marmorarbeiten gegenüber (43—46), mit ihrer zusammengehaltenen Fülle, mit der zarten Modellierung des Nackten und mit dem lebendigen Strömen der Gewandung, die sehr stark mit spielender Licht- und Schattenwirkung rechnet.

Daß bei Werken dieser klassischen Zeit Marmor- und Bronzewerke sich so streng innerhalb der Bedingungen des jeweiligen Materials gehalten haben, ist wieder durchaus in dem ethischen Charakter der Griechen begründet, wie denn überhaupt hier ethische und ästhetische Begriffe in der engsten Wechselbeziehung stehen. Der griechische Wille hat auch hier „das Ge-