Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, str. 266

theilt, von denen fünf (beziehung8weiſe ſe<s) je einundvierzig und die übrigen je vierzig Tage enthielten, das heißt: die Beamten ſollten vom 1. (13.) März 1872 an nux neunmal im Fahre ihren Gehalt beziehen, alſo einen weiteren Abzug von fünfundzwanzig Percent erleiden. Aber die Geduld des langmüthigſten Menſchen hat ihre Grenzen, ſelbſt die eines türkiſchen Beamten, der ſich doh wahrlich viel gefallen läßt, und ſo drohte ein allgemeiner Beamten-Strike (Arbeitseinſtellung), ſomit ein abſoluter Stillſtand der Regierungsmaſhine. Für die „oberen Zehntauſend“ da war freilich geſorgt, indem deren Gehalte wenige Tage vorher in derſelben Vergleichungsſtufe erhöht wurden, ſo daß ſie niht zu kurz kamen, aber die armen Teufel, welche niht das Glück hatten, Paſchaſöhne zu ſein und zur Beamten-Herrſchaſt der Stambuler Effendis zu gehören, wären unfehlbar mit den Jhrigen zum Hungertode verurtheilt-worden, und ſo würden ſie es im Nothfalle no erſt mit Holzha>en oder Taglöhnerarbeit verſucht haben. Da erſchien denn nah wenigen Tagen ein Nachtrag zur Kalender-Reform, welcher dieſe dahin erläuterte, daß fkünftighin den Beamten alle vierzig Tage ein Monatsgehalt und am Schluſſe des Re<hnungsjahres der Reſt, nämlich die übrigen drei Monate, ausgezahlt werden ſollten. Glücklicherweiſe kam die ganze närriſche Maßregel nie zur Ausführung.

Mittlerweile jedo< gewann eine andere Angelegenheit Leben und Geſtalt, welche bis dahin blos in den vertrauteſten Kreiſen des kaiſerlichen Palaſtes eine unterirdiſche Aushöhlungs-Arbeit betrieben hatte und die ſich nun zu einer brennenden Frage entwi>elte, welche \<ließli< die Kataſtrophe vom 30. Mai 1876 herbeiführte.

Schon vom erſten Tage ſeiner Thronbeſteigung an hatte Sultan Abdul Aziz den Plan gefaßt, die ſeit ſec<shundert Jahren im Osmaniſchen Reiche zu Recht beſtehende Thronfolge-Ordnung zu Gunſten ſeines Sohnes Juſſuf Jzzedin Effendi abzuändern. Für dieſes, bereits hier genugſam erörterte Project, wurde Mahmud Paſch a gewonnen, und um es durchzuführen, wurde eine neue Auflage der maſſenhaften Abſeßungen vorgenommen ; namentli< wurden die Kriegs-und Marine-Miniſter faſt jede Woche gewechſelt, in der Hoffnung, endlich denjenigen Mann zu finden, der es auf ſih nähme, die Armee und Marine zur Ausführung des Planes geneigt zu machen; — aber es war Alles umſonſt; inſtinctmäßig fühlte es Feder heraus, daß die Abſchaffung eines ſe<shundertjährigen Grundgeſeßes nur Unheil erzeugen könnte.

Mahmud Paſcha ſah in Midhat Paſcha ſeinen Verderber; er ſeßte Lebßteren, der damals Vali (Statthalter) von Bagdad war, ohne alle Umſtände ab, befahl ihm aber, ſo lange in Bagdad zu bleiben, bis er mit ſeinem Amtsnachfolger die Rechnungen ſeiner Verwaltung bereinigt hätte.

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Augenſcheinlich ſte>te wieder Jgnatieff dahinter ; denn Midhat Paſcha war der erklärte Gegner aller panſlaviſtiſhen Jntriguen, daher in den Augen Rußlands die allermißliebigſte Perſon. Durch jenen Befehl wäre nun Midhat Paſcha für einige Zeit in Bagdad ohne Amt zurüctgehalten worden ; aber er erklärte, er habe ſeine Rechnungen Tag für Tag regelmäßig fortgeführt bis zum leßten Tage ſeiner Berwaltung, ſomit wäre nichts zu revidiren und er habe auh feine Luſt, ſi< unnüßerweiſe länger in Bagdad aufzuhalten. Er reiſte ab und bei ſeiner Ankunft in Alexandrette traf ihn ein Befehl des Großveziers, der ihn wegen ſeines Ungehorſams na< Angora verbannte. y

Gleichzeitig jedo<h erhielt Midhat Paſcha ein Telegramm vom egyptiſchen Khedive, der ihn aufforderte, ohne Furht nach Conſtantinopel zu fommen, er würde ihn {hon ſhüßen. Der Khedive empfing ihn und lud ihn ein, mit ihm gemein\choftlih am Sturze des Großveziers zu arbeiten, und ſtellte nur die Bedingung, daß er, Midhat Paſcha, ſich mit dem mütterlihen Oheim des Khedive, Juſſuf Kiamil Paſcha, mit dem er ſich früher entzweit hatte, wieder ausſöhne, was Midhat Paſca auch verſprah. Um zu erklären, was den Vicekönig von Egypten veranlaßte, an Mahmud Paſchas Sturze zu arbeiten, braucht man ſi< nur zu erinnern, daß er damals ſich bemühte, die ſogenannte „Juſtiz-Reform“ durhzuſeßen. Uebrigens war es wirkli<h höchſte Zeit, daß Mahmud Paſcha beſeitigt wurde; berauſcht dur ‘den Erfolg ſeiner bisherigen Willkürherrſhaft, ging er damit um, dreißig der vornehmſten und geachtetſten Perſonen zu verbannen. Der Großvezier ſah zu ſcinem Aerger, daß Midhat Paſcha ſi< nicht an ſein Verbannungsdecret kehrte, aber er mußte den Aerger hinabſhlud>en, weil der Vicekönig von Egypten ihn beſchüßte ; um ihn aber denno< mit Anſtand fortzubringen, ernannte er ihn zum Statthalter von Adrianopel. Midhat Paſcha verfügte ſi< in den Palaſt, um, wie üblih, dem Sultan für ſeine neue Ernennung zu danken, bat aber um einige Tage Urlaub unter dem Vorwande, wegen der Flechten, die er ſi< in dem Klima von Bagdad zugezogen hatte, ſi< mit einigen Aerzten zu berathen, was der Sultan auh bewilligte. Mahmud Paſcha mochte wohl das aufſteigende Gewitter vorausſehen und beſchloß einen neuen Gewaltſtreich. Er befahl Midhat Paſcha, ſih ſofort auf ſeinen neuen Poſten zu verfügen, widrigenfalls würde er ihn verhaften laſſen. Midhat Paſcha begab ſih alſo wieder in den Palaſt, unter dem Borwande, ſi<h bei dem Sultan zu verakſchieden. Dieſer war erſtaunt, ihn {hon zur Abreiſe bereit zu ſehen, da er ihm do< Tags vorher noch einen verlängerten Urlaub bewilligt hatte. Midhat

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