Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, str. 301

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Veginn des ſerbiſ<hen Krieges.

Am 2. Juli 1876, als am achten JFahrestage der Thronbeſteigung Milans, wurde um vier Uhr fünfundvierzig Minuten Morgens bei Sippovace. ſerbiſcherſeits die Grenze überſchritten, nachdem vorher ein Kanonenſchuß auf ein türkiſches Blo>haus abgefeuert worden war.

Der Krieg hatte begonnen!

Die Armee des Fürſten Milan rü>te in drei Heeresſäulen gegen die Türken vor, während ſih zur ſelben Zeit die montenegriniſhen Streitfräfte bereits auf dem Marſche gegen den Erhbfeind befanden.

Fm Norden Serbiens bewegte ſi< unter Alimpics ein Corps, deſſen ſcheinbare Miſſion die Fnſurgirung Bosniens war; von der Morawa-Linie aus hatte General Za < Befehl, zu operiren; er bildete das ſtrategiſhe Centrum der ſerbiſhen Streitkräfte und konnte, wenn nöthig, ſowohl na< Norden abfallen, um Alimpics zu unterſtüßen, als ſi< öſtli<h ſchieben, um der ſerbiſchen Hauptarmee zu Hilfe zu eilen. Dieſe, unter dem nominellen Commando des Fürſten und dem thatſächlihen des Generals Tſchernajeff war bereits auf dem Marſche gegen Niſch. Dort hatten die Türken eine Art von verſchanztem Lager errichtet und das Terrain für eine große Vertheidigungsſhla<t in Stand geſeßt, welhe das Naturell ihrer zähen, ausdauernden Truppen und ihre Ueberlegenheit in artilleriſtiſher Hinſicht für ſie beſonders empfehlen8werth erſcheinen ließ. Dex neue türkiſche Seraskier Abdul Kerim Paſcha ſollte am 5. Juli im Hauptquartier daſelbſt eintreffen, und bis dahin glaubte man, würden die Serben bei Niſch angelangt ſein. Es trennte ſie von dieſem Play allerdings nur eine ſehr geringe Diſtanz, aber die Wege in jenen Gegenden waren ſ{le<t und theilweiſe ungangbar und eine aus regelloſen Elementen zuſammengeſcßte Armee, wie die ſerbiſche, bewegt ſi< unendli<h langſamer als ein regelmäßiges Heer.

‘Fürſt Milan beabſichtigte Niſch einzuſchließen. „Es lagerten daſelbſt unter türkiſher Fahne 31.000 Mann, wovon nur 18.000 Nizams. Unmittelbar vor Niſh erwartete man eine große Schlacht, vorausgeſett, daß die ottomaniſche Armee nicht vorziehen ſollte, hinter die Schanzwerke ſi< zurü>zuziehen. Fn dieſem Falle ſollte man die Armee eng einſchließen, wozu, wie man glaubte, 40.000 Mann genügen würden. Die anderen 40.000 Serben waren beſtimmt, auf Soſia zu marſchiren, um die Jnſurrection überall zu organiſiren. Man hoffte, daß niht nur in Bosnien, der Herzegowina und in Bulgarien die Flamme der Jnſurrection Hell emporlodern

würde, man rechnete ſogar ſiher darauf, daß au<h mit Griechenland in kürzeſter Friſt ein Allianz-Vertrag zu Stande kommen würde.

Rußlands Sendlinge waren allenthalben thätig. Die JFnſurrection wartete nur auf den ſto lange erſehnten Einmarſch der „ſerbiſhen Brüder“, um mit erneuter Kraft ſi<h dem Kampfe anzuſchließen. Sämmtlihe Slaven des Balkans hatten ſi< erhoben; Mannſchaft und Geld floßen ihnen aus Rußland zu und ſie hielten den Augenbli> für gekommen, wo die ſlaviſhe Fdee in Europa Eingang finden würde. Das Slaventhum pochte mit Ungeſtüm auf ſeine ungezählten Stämme, die von den Oſtgrenzen der civiliſirten Welt Europas ſi< weit über die Steppen Aſiens ausdehnen; dorthin, wo jemals die Pferde ſlaviſher Völker geweidet, wo no< ein Anklang an längſt verſhwundene Niederlaſſungen ſi<h entde>en läßt, dorthin ſollte wieder die ſlaviſhe Herrſchaft getragen werden.

Von dieſer Jdee beſeelt war auh der Kriegs8Aufruf des Fürſten Milan, welcher am 2. Juli in früheſter Morgenſtunde dem ſerbiſchen Volke verkündet wurde und der wörtli< lautete:

„An mein theures Volk!

Ein Jahr iſt es bereits, ſeit unſere Brüder in Bosnien und in der Herzegowina zu den Waffen gegriffen haben, um ſi< gegen zügelloſe Willkür und Gewaltthaten zu vertheidigen. Fhre Leiden fanden ſtets einen Widerhall in unſeren brüderlihen Herzen, und als im Vorjahre ihre Klage auf's Neue ſih< erhob, erklärte ih unſerer Skupſchtina, daß ih ſelbſt in den Grenzen unſerer {wachen Kräfte dahin wirken werde, eine erfolgreihe Art und Weiſe ausfindig zu machen, welche die endlihe Beruhigung dex inſurgirten Gegenden, deren Schi>ſal uns nicht gleichgiltig ſein kann, bewirken könnte,

Jc ſagte damals, daß Serbien, als unmittelbarer Nachbar jener Provinzen, mehr als irgend Jemand durch die periodiſ<h wiederkehrenden Auſfſtände in moraliſher und ökonomiſcher Beziehung in Mitleidenſchaft gezogen werden müſſe, weswegen es in unſerem Jntereſſe liegt, daß einem ſolchen Zuſtande der Dinge ein- für allemal ein Ende gemacht werden ſolle. Da aber. zu gleiher Zeit die Hohe Pforte im Einverſtändniß mit den Großmächten das Friedensſtiftung8werk in ihre Hände nahm, und zwar mit Ausſ<luß jeder anderen Mitwirkung, ſo war es unſere Pflicht, mit Achtung und Geduld das Reſultat jener - Verſuhe abzuwarten, welche die Großmächte lebhaft zu Gunſten unſerer leidenden Brüder unternommen haben. Jndeſſen hat die ſeit Jahrhunderten von dem bedrü>ten Volk,