Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, str. 302

welches zu den Waffen gegriffen, gemachte Erfahrung demſelben kein Vertrauen zu den Maßregeln eingeflößt, welhe die Hohe Pforte zum Zwecke der Beruhigung ergriffen hatte; es fand keine Garantie in denſelben gegen die Wiederkehr der Uebelſtände, welhe das Volk ſo oft zu den Waffen trieb. Der heldenmüthige Kampf wurde fortgeſebt.

Meine Regierung hat Alles gethan, was ſie nur thun konnte, um zur Beruhigung der Geiſter beizutragen. Troß alledem ſ{loß die ottomaniſche Regierung unſer Vaterland von den Mündungen des Timok bis zu jenen der Drina mit einer ſtarken Armee ein. Das türkiſhe Heer nahm uns gegenüber eine drohende Haltung an ; die wilden Horden der Baſchi-Bozuks, Tſcherkeſſen und Arnauten unternahmen nicht ſelten, von Abtheilungen der regulären Armee unterſtützt, Einfälle in unſer Land, ſie überſielen ruhige Bürger, plünderten unſere heiligen Kirchen aus, brannten unſere Häuſer nieder, trieben unſere Heerden weg und raubten allerorten unſer Hab und Gut, hinter ſi< Schutthaufen und Leichen zurü>klaſſend. Brüder! Ein Jahr bereits erduldet Jhr dieſe blutigen Scenen auf dem Boden unſeres theueren Vaterlandes, welches unſere Väter um den Preis ihres Blutes für uns erworben haben. Ohne im Kriegszuſtande zu ſein, ertragen wir alle nachtheiligen Folgen des Krieges. Kann man demnach meiner Regierung verargen, daß ſie, die Beſchlüſſe der Skupſchtina vollziehend, Maßregeln zur Vertheidigung dex ſolchergeſtalt bedrohten Landesſicherheit ergriffen hat? Und dennoch hat die Ottomaniſhe Pforte Serbien daraus einen Vorwurf gemacht, daß es ſi< unterſteht, für eigene Vertheidigung vorzuſorgen, jenem Serbien, welches die Pforte ſelbſt zwang, mit Aufbietung aller ſeiner Kräfte, mit Aufopferung aller ſeiner Friedens-Fntereſſen ſi<h in den Stand der Nothwehr zu ſetzen.

Brüder! Ohne einen Augenbli> die Wege der Mäßigung und Vernunft verlaſſen zu haben und ſelbſt im Widerſpruche mit Eueren beleidigten Gefühlen gab ih den Rathſchlägen der Garantiemächte Gehör und verſhloß in meinem und Euerem Herzen das Echo, - welches dieſes in der “civiliſirten Welt no< unerhörte Benehmen der Türkei hérvorrufen mußte. Dieſen Weg der Mäßigung verließ ih au< dann nicht, als die Pforte, ſtatt die Urſachen zu beſeitigen, welche dieſen Zuſtand hervorgerufen haben, es für gut fand, von mir eine Aufklärung zu fordern wegen der Maßregeln, die wir zum Zwe>e der Vertheidigung unſeres Landes ergreifen mußten. Nachdem ih auf eine beſheidene und zuvorkommende Art die Aufklärung dem \uzerainen Hofe gegeben hatte, gab i< meine Bereitwilligkeit kund, einen Specialgeſandten na< Conſtantinopel zu

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entſenden, welcher im Einverſtändniſſe mit der Pforte die Grundlage ausfindig machen ſollte, auf welche ein dauerhaftes Einvernehmen zwiſchen uns und der fkaiſerlihen Regierung hergeſtellt werden könnte.

Aber was glaubt Fhr, welhe Aufnahme fand dieſer neue Beweis meiner Verſöhnlichkeit bei der Hohen Pforte? Während die Pforte mein perſönlihes Anerbieten mit Stillſchweigen überging, wurde die türkiſche Armee mit neuex Anſpornung an unſere Grenzen dirigirt. Die Pforte ſcheint zu glauben, daß, wenn das vorgeſchrittene Serbien vom Erdenkreis verſ<hwinden würde, es kein Land mehr im Oriente geben würde, welches dur ſeine Exiſtenz allein die fernere Unzuläſſigkeit der jeßigen Zuſtände in der Türkei beweiſen würde.

Brüder! Wenn wir nach ſolchen feindſeligen Schritten und Abſichten der Türkei no< ferner auf dem Wege der Zurückhaltung. blieben, würde unſere Mäßigung als Shwäche, unſer Schweigen als Furcht gelten, welche niht würdig iſt der Nachkommen der Duſchans*) und der Milo ſche. Fſt aber auh der Krieg zwiſchen der ſerbiſchen Nation und der Ottomaniſchen Pforte unauswei<li<, ſo habe ih do< na< Conſtantinopel eine Vorſtellung geſchi>kt, in welcher ih das Mittel angab, welches geeignet iſt, die Aufſtändiſchen im Oriente zufriedenzuſtellen, Serbien aber aus jener ſ{<weren Lage zu befreien, in welche es ohne ſeine Schuld gerathen iſt. F< verlangte die Entfernung dex türkiſchen Armee ſammt allen wilden Horden von unſerer Grenze und erklärte der kaiſerlichen Regierung, daß die ſerbiſhe Armee im Namen der geſeßlihen Selbſtvertheidigung, im Namen der Humanität und der brüderlihen Gefühle, wel<he uns an die leidenden Brüder feſſeln, in die inſurgirten Provinzen einmarſchiren werde, um den Frieden herzuſtellen und um eine Ordnung auf den Grundlagen des Rechtes und der Gleichheit ohne Rückſicht auf die Religion der Einwohner herzuſtellen.

An der Pforte iſ} es nun, ihr folgenſhweres Wort auszuſprehen und dem Blutvergießen ein Ende zu machen. Serben! Soldaten! Wir gehen niht in den Krieg, von Rachegefühlen geleitet, ſondern aus einer ſi uns und unſeren Brüdern im Dſten aufdringenden Nothwendigkeit, ſowie von den Bedürfniſſen des allgemeinen Friedens angeſpornt. Stolz auf die ſ{höne, Euh von der Vorſehung übertragene Miſſion, die Cultur und Freiheit im Oriente zu vertreten, ſchreitet zuverſihtli<h und entſchieden vorwärts und

‘*) Stefan Duſchan, König von Serbien 1336 bis 1356, eroberte Macedonien, Albanien, Theſſalien, Nordgriechenland und Bulgarien; er nahm den kaiſerlihen Titel „Czar“ an.