Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, str. 333

keinen Gott giebt, außer Gott, und Mohammed"iſt ſein Profet!) Als dann die lette Hülle fiel und die Fahne ſi<htbar wurde, da kannte die Begeiſterung der Anweſenden keine Grenzen mehr. Sie warfen ſi< zu Boden, berührten denſelben mit ihrer Stirne und citirten dreimal laut den mohammedaniſ-kabbaliſtiſhen Spruch, der ungefähr lautet: „Gott iſt groß! Gott iſt mächtig! Gott iſt erhaben!“ u. #. w.

Der Seik-al-Jslam hielt nun die Fahne dem Sultan zum küſſen hin; dieſer preßte voll Fubrunſt ſeinen Mund an dieſelbe, wobei Thränen über ſeinen langen Bart hinabrollten. Allen Anweſenden hingegen ward nur ein Seidenlappen zum füſſen hingehalten, den man wenige Secunden vorher auf die Fahne gelegt hatte. Hierauf befeſtigte der Scheik-al-Jslam die Fahne an einer Stange und übergab fie nun dem Sultan, der ſie ſeinerſeits wieder einigen Ulemas übergab, die man zu Trägern vorher ſchon beſtimmt hatte.

Mit lautem Allah akbar! (Gott ift groß!) zog hierauf Mahmud Il. ſein Shwert aus der Scheide und ſtellte ſi< hinter die Fahne, was ihm die anweſenden Miniſter und Staatsräthe nachahmten. Nun zog die Fahne, gefolgt von ihrer glänzenden Begleitung, hinaus vor den Eingang zum Palaſte, wo eine ſhon nah Tauſenden zählende Menge, die insgeſammt bewaffnet war, ihrer harrte. Beim Anbli>e dieſer Relique ſtürzte ſi< die ganze Menge zu Boden, um ebenfalls unter dem Ausrufe: Allah akbar! die Shwerter aus der Scheide zu ziehen.

Jebt wurde der Kampf der Bevölkerung von Conſtantinopel gegen die Janitſharen aufgenommen; man ſuchte ſie in ihren Kaſernen auf und ſäbelte ſie ſhonungslos nieder. Natürlich ſeßten fi< die Janitſcharen tapfer zur Wehre und ſäbelten wieder die „Gläubigen“ nieder und ſo floß das Blut der Janitſcharen, vermiſcht mit dem Blute der Bürger, in Strömen durch die Straßen der Stadt. Jn den Gäſſen Stambuls lagen an dieſem Tage die abgehauenen Köpfe und die Rümpfe der Leichen haufenweiſe umher und nur mit Mühe konnte man die Fahne über dieſe ſchauerlichen Leichenhügel hinweg na< dem Almeidan (Markt) bringen, wo ſie dann aufg epflanzt wurde und wohin ihr der Sultan mit ſeinem Gefolge das Geleite gab.

Veber ſiebentauſend Janitſcharen blieben in dieſem Gemetzel, nur wenige entrannen damals dem Blutbade, und au< mehr als ein Unſchuldiger mußte an dieſem Tage das Leben laſſen, denn es ſtand jedem Gläubigen frei, wenn er gegen irgend Jemanden einen Groll hegte, ihn zu beſchuldigen, daß er ein Anhänger der Janitſcharen ſei und ihn ſoglei<h niederzumahen oder vor den Seraskier zu bringen, der ebenfalls kurzen Proceß mit ihm machte. Wie das Holz in Stößen ge-

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ſhli<tet, ſo lagen in jenen Tagen (bis 17. Juni) die Leichen der Hingeſchlahteten auf dem Almeidan, auf dem man bis zu den Knöcheln in Blut waten fonnte. Nach erfochtenem Siege ſtiegen in allen Moſcheen der Staot Dankgebete zu Allah empor.

Wir müſſen nur noh hier anfügen, daß die Janitſcharen im Fahre 1362 in der Stärke von 12.000 Mann vom Sultan Murad (nah Anderen ſ<on dur< Sultan Orkan im Jahre 1329) aus den Chriſtenkindern, die das je fünſte als Tribut geliefert werden mußten, errichtet, weil die eigentlichen Türken ſi< niht zum Dienſte als Kapikuli (beſoldetes Fußvolk) verſtehen wollten. Hadſchi Bektaſ<h, ein mohammedaniſcher Heiliger, ſegnete das Corps, ließ hierbei ſeinen Aermel auf den Kopf ihres Anführers fallen und profezeite ihnen Glü>. Die Zahl der beſoldeten Janitſcharen ſtieg zuweilen auf 100.000, ſie ſanfen wieder auf 40.000, außerdem waren über 100.000 Türken in den Liſten der Janitſcharen eingeſchrieben, dienten aber ohne Sold, blos wegen einiger Vortheile, beſonders wegen der Befreiung von Abgaben, und zogen ſelten in's Feld.

Dadurch alſo bekam die Sache ein recht ernſtes, ja unheimliches Anſehen, denn die Entfeſſelung der fanatiſhen Elemente im türkiſ<hen Volke fonnte von unberechenbaren Folgen ſein. Glü>licherweiſe wurde der Brei niht ſo heiß genoſſen, als man ihn gefoht hatte, und bald darauf gab die türfiſhe Regierung „zur Beruhigung aller ängſtlihen Gemüther“ die Erklärung ab, daß die Nachricht von einer Aufforderung der Gläubigen zum „heiligen Kampf“ auf einem M ißverſtändniß oder auf Unkenntniß der türkfiſhen Sprache beruhe, da „Dschihäd“ nur Kampf allgemeinhin bedeute, während das Wort „Ghâza“ für den heiligen Kampf gebraucht werde. Nur vergaß bei dieſer Erläuterung die türkiſhe Regierung darauf, daß beide Worte nicht türkiſch, ſondern aus dem Arabiſchen erborgt ſind, ſo daß die türkiſche Regierung, wenn ihre Auslegung aus gutem Glauben gekommen wäre, ſelbſt einer Mißanwendung des Wortes „Dschihâd“ aus Unkfenntniß des Arabiſchen behuldigt werden müßte; denn — ſeit dem Beſtechen des Jslam wird das Wort „Dschihâg“ für den Kampf gegen die Ungläubigen (die Kuffár oder Kaffirier arabiſ<, die Giaurlar türkiſch) von jedem Fslam-Gläubigen, ob Türke, Araber, Perſer u. \. w. gebraut. Ghâza (türfiſh) bedeutet aber den Krieg8zug oder überhaupt einen Zug, Einfall in ein feindlihes Land, in der Volksſprahe au<h mit Ghâzieh ausgedrüdt, woraus die Franzoſen ihr Razzia gebildet haben. Das Wort Mudschäâhid, ohne und mit ed dîn angewendet, bedeutet einen Glaubenskämpfer und ward häufig, wie das Hadschsch oder Hadschdschi (Mefkfa-Pilger)