Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, str. 334
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den Geſchle<t8namen beigefügt. So gab es zu Saladin's Zeit einen Emir Mudſchähid ed dîn Krimaz und der lebte der Abaſſiden oder Khalifen von Bagdad, El Muſtäſſim b'illahi, hatte einen Miniſter, Namens Mudſchähid ed dîn Eibek. Jn Jeruſalem aber kann jeder Beſucher noh bis zur Stunde ein Mesdsched (Gebetsſtätte) und eine Magbarah (Begräbnißſtätte) der Glaubenskämpfer oder El Mudschäâhidine fi zeigen laſſen, wenn er vom ſogenannten Ecce-HomoBogen zum Bâb Sitti Merjem geht. Man fönnte dieſe Mudſchähidine die „Ritter des Halbmondes“ nennen, wie die criſtlihen Kreuzfahrer die „Ritter des Kreuzes“. Es iſt alſo eine Verwe<hslung der Worte Ghâza und Dschihâd im Sinne der eingangs erwähnten Auslegung unmöglich. Die nächſten Nachbarn und ebenſo die Franzoſen und Engländer hatten Erfahrungen genug in alter und neueſter Zeit gemacht, um zu wiſſen, was Dschihâd bedeute, und der Sprachkundigen, wel<he Arabiſch beſſer als die Türken verſtehen, giebt es im Weſten gar viele.
Genug, unter dem Titel ,„Tanei Dschihâdie“, zu deutſh „Hilfe für den Krieg gegen die Ungläubigen“, forderten die türkiſchen Zeitungen, die Prieſter in den Moſcheen und die öffentlichen Ausrufer zu Beiträgen für Kriegszwe>e auf, ohne daß die Pforte dagegen Einſprache erhob. Warum ſollte dies aber au<h die Pforte thun, na<hdem keine Botſchaft es der Mühe werth fand, diesfalls Einſpruch zu thun und nur der engliſhe Geſandte, Sir Elliot, ſi< veranlaßt fand, öffentli<h in einem Journale und ſpäter beim Großvezier gegen die Bezeichnung „Janei Dschihâdie“ Einſprache zu erheben, was übrigens feinerlei Erfolg hatte.
Veberhaupt ſchien der Umſchwung, welcher in der öffentlihen Meinung des engliſ<hen Volkes in dem Momente eintrat, wo die in Bulgarien vollzogenen Gräuelthaten die gere<te Entrüſtung der ganzen civiliſirten Welt anregten, die Anſhauungen Elliot's, der alle dieſe Dinge von der beſten Seite zu nehmen pflegte, gebrochen zu haben, und das beſtändige Leugnen von Thatſahen genügte niht mehr, England den Glauben beizubringen, daß die Dinge in der Türkei doh niht ſo arg ſtünden, wie dies die türkenfeindlihe Preſſe ſchilderte. Der Zwang, welhen das engliſche Volk auf das Cabinet von St. James ausgeübt hatte, ſ<hien denn do< von Erfolg gekrönt zu ſein, denn am 18. Juli war Miſter Leuca, der engliſche Vice-Conſul, nah Bulgarien gereiſt, um na< perſönliher Anſchauung einen Bericht über das zu erſtatten, was ſi< dort zugetragen hatte und was no< immer erwartet werden konnte. Was mote aber die Reiſe Mr. Leuca'’s nützen? Er mußte beſtätigen, was alle Welt wußte, daß Bulgarien der Schauplatz unerhörten Raubes und Mordbrennerei war und
noh für lange Zeit bleiben würde, da die Regierung ſi< niht mehr im Stande fühlte, das entfeſſelte muſelmänniſhe Element im Zaume zu halten und die Ruhe wieder herzuſtellen. (
Eines war gewiß: ſiegten die Türken, dann ſtieg der Uebermuth der Muſelmänner in einer niht zu beſchreibenden Weiſe, ſie wähnten die Fanitſcharen-Zeiten wieder zurü>gekehrt, dünkten ſi, die Herren der ganzen Erde zu ſein, und betrachteten alle Anders8gläubigen als Sklaven ; und würden die Türken geſchlagen, dann ſchrieb der Koran vor, Rache zu nehmen an den Feinden. Jn beiden Fällen alſo ſtanden in den Provinzen no< Kataſtrophen bevor, von denen man in Europa keine Ahnung hatte — Kataſtrophen, die weder der Abſchluß einer Waffenruhe, noh ein Friedens\{<luß verhindern könnte. Die Anarchie war bereits in vollſter Blüthe, Macht ging vor Recht, die Regierung fürchtete die Baſchi-Bozuks ebenſo wie die Bevölkerung.
Dieſe Sachlage war aber nur eine natürliche Folge der unerhörten Duldung und Leidſamkeit, die man gegenüber den ſogenannten inneren Angelegenheiten an den Tag gelegt hatte und ein „patriotiſher Hilfsverein“ wie „Janei Dschihâdie“ fonnte im neunzehnten Fahrhunderte nur dur die verfehlten Anſchauungen der Mächte erſtehen.
Die Entfaltung der Fahne des Khalifats hatte aber noc eine ganz beſondere Tragweite ; abgeſehen davon, daß bei Ausführung des geplanten Unternehmens -es nothwendig im Türkiſchen Reiche zu einem großen Gemetzel und Menſchenabſchlachten hätte fommen müſſen, würde au< eine große Störung im Handelsverkehre des Abendlandes hervorgerufen worden ſein. Nach mohammedaniſh-kir<lihem Geſeßé tritt in dem Falle, wenn die Gläubigen aufgefordert werden, in den Krieg zu ziehen, um den Fslam zu vertheidigen, unter Anderem ſelbſtverſtändli<h auh ein Wech ſelMoratorium (Zahlungsfriſtgewährung), und zwar für unbeſtimmte Zeit ein. Dieſes Moratorium erſtre>t ſi< niht nur auf die Wechſel\{<hulden der Privatperſonen, ſondern au< auf alle Schulden des Staates, der dadurh ebenfalls ſeinen Verpflihtungen den Gläubigern gegenüber enthoben wird. Dieſe Anſchauung von einem unbeſtimmbaren Wechſel-Moratorium wurde eigentli<h zuerſt von den mohammedaniſchen Theologen der Hochſchule zu Cordova in Spanien im zehnten Fahrhundert aufgeſtellt und näher erläutert. Spätere mohammedaniſche Theologen, beſonders der fleißige Sammler Samarkſc<hari und die Zuſammenſteller der Fetwahs (Rehts\prüche), die berühmteſten Muſftis, haben dieſem Gegenſtande eine beſondere Aufmerkſamkeit zugewendet und die Lehren und Beſtimmungen, welche auf die Freiheiten und Rechte der Gläubigen während ihres Kampfes für den. Glauben Bezug haben,