Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 1.

20 Dex Talisman des Weibes.

„Du wirſt Dix die Augen verderben mit dem unaufhör= lichen Gefribel,“ ſagte er, ihr die Feder aus der Hand nehmend.

„Ach, es macht mir ſolche Freude, Hans!“ -«Fhre dunkelblauen Augen ſtrahlten zu ihm empor, als ex das halbvollendete Blatt beſichtigte.

Ohne ein Wort der Anerkennung ließ ex es fallen. Greilih fand er das darin ausgeſprochene Talent ſehr anmuthig, aber er wollte Jrma in ſolchen Dingen grund= jäßlih niht ermuntern.

„Nun?“ fragte ſie kleinlaut.

„Haſt Du denn nichts Beſſeres zu thun, als dieſes eivige Zeichnen, Kind?“ Ex hatte ſich auf den Tiſch vor ihr geſtüßt und betrachtete ihr geröthetes Antliß mit ivarmer Liebe. „Habe ich denn eine Malerin geheirathet, “ [<loß er ſherzend, „oder eine Hausfrau?“

„Jh thue ja Alles —!“ rief ſie eifrig.

„Jawohl, Alles!“ unterbrach ex ſie mit liebenswür= diger Jronie. „Nach dem Aufſtehen werden zwei Stun= den lang Etuden geſpielt und geſungen, danach kommen die Bravourſtüd>e an die Reihe. Ein Spaziergang vor Tiſh und die dazu erforderliche Toilette nehmen glü&lich den Neſt des Vormittags in Anſpruch. Nath beendigter Mahlzeit ſeßen wix uns an die Staffelei oder zeichnen mit der Feder, bis es dunkelt, dann ein Kaffeeplauder= ſtündchen , recht lange ausgedehnt, eine farbenſchillernde Handarbeit, bei der es ſih angenehm träumen läßt von Oper und Künſtlerbällen, und wenn es ſein kann, zuleßt no< ein Stündchen am Flügel hingeſchwelgt — iſt es ſo, oder niht, mein Schaß?“