Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 12.

138 Das Herzblättchen,

Gli des jungen Meiſters. Als Geſelle nämlich, wenn irgend eine raſche Reparatur außer dem Hauſe vorzuneh= men wax, hatte er kurzerhand mit der Werkſtattſchürze an= gethan und dem Leimpfännchen unter dem Arme quer dur die Stadt ſpringen müſſen. Das war aber in einer Hin-= ſicht ſein Verderb geweſen, denn Meiſter Müller hatte einſt noch nit jene Körperfülle aufzuweiſen gehabt, welche ihn jebt als Rentner auszeichnete, ſondern war ein ſehr ſ{<hlanfer, hagerer Menſch geweſen, der in ſeinem Arbeitsanzuge mit den Holzſ<uhen an den Füßen und dem Leimpfännchen unter dem Arme der lieben Straßenjugend eine willkommene Zielſcheibe für den allezeit bereiten Spott abgegeben hatte. Das Leimpfännchen, welches ſeine Berufsthätigkeit ihn nöthigte, mit ſich zu tragen, war bald zum Spißnamen für ihn geworden, und in kurzer Friſt verging kein Zag, an welchem ihm nit, wenn ex eiligen Schrittes die Straßen der Stadt dur<hmaß, von den Jungen höhnend „Leim-= pfännchen ! Leimpfännchen |“ nachgerufen worden wäre. Das ärgerte den waeren Leberecht Müller aber ganz bedeutend, und ſein Zorn wu<s immer mehr mit den Jahren, denn der Spißname blieb ihm ſelbſt dann noch, als er ſchon längſt Meiſter und Familienvater geworden war. Als die kleine Cliſabeth vier Jahre alt geworden war, da ſchenfte dem Meiſter ſein treues Weib wiederum ein Töchterlein — und ſtarb dabei zum größten S<hmerze ihres Gatten. Lebere<ht Müller ſaß drei Tage darauf am Sarge ſeines Weibes und ſchaute ſtarren Blickes auf die lichen Züge, welche ihm bald auf immer entriſſen ſein ſollten, auf das geſchloſſene Auge, welches ihn nimmermehr freund-