Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 12.

Novelle von G. Höcer. 139

lich anlächeln ſollte. Und als daun die Erdſchollen dumpf auf den Sarg uiederpolterten, der ſein Liebſtes barg auf dieſer Welt, da wußte der gebrochene Mann, daß er ſeine treue Lebensgefährtin verloren hatte auf immerdar und ewig, und die Verzweiflung wollte ihn ſchier ergreifen. Erſt als Jahre vergangen waren, vermochte er wieder Le= ben8muth zu faſſen.

War jedoch der Meiſter ſhon gegen ſein älteres Löch= terchen nicht beſonders liebevoll geweſen, ſo haßte er das fleine Weſen geradezu, um welches ſein Weib hatte das Leben laſſen müſſen, und er ſprach von ihm nicht anders als von der Muttermörderin. Ex hatte es faum einen Augenbli> geſehen, als die Hebeamme es ihm nah dev Geburt auf den Arm gereicht, denn im nächſten Momente war all’ ſcine Aufmerkſamkeit wieder bei ſeinem todtkranken Weibe geweſen. Noch in derſelben Nacht war dann ſeine Cläre geſtorben, und von dieſem Augenbli>e an durfte das unſchuldige Geſhöpf dem Vatex nicht mehr vor die Augen, denn dieſer fühlte einen namenloſen Jngrimm gegen die „Muttermörderin“. Die Raſerei der erſten Tage ging indeß vorüber und machte einer ſtillen, wehmuthsvollen Trauer Plat, aber die Abneigung gegen das jüngſtgeborene Kind blieb bei dem Meiſter haften, und obwohl ex alltäglich das Wimmern und mitunter auh das fröhliche Jauchzen der Kleinen hörte, drängte ihn ſein Herz doh nicht dazu, es auch nux ein einziges Mal in Augenſchein zu nehmen. Ex ließ es der Kleinen freilich an nichts fehlen, ſondern hatte derſelben im Gegentheil eine eigene Wartefrau zU= geſellt, nur ſehen wollte er ſie nicht.