Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 12.

Novelle von G. Höcker, T41

Plößlich hob er die Kleine aus dem Kiſſen empox und nahm ſie auf den Arm. Ev ſchaute ihr in die großen blauen Sterne und der Bli> wurde ihm trübe von den hervorquellenden Thränen, denn ev ſah in dieſelben Augen, welche ex ſchon lange todt und gebrochen wußte. Sein Weib war von ihm geſchieden, aber ihr Ebenbild hatte ſie ihm zurü>gelaſſen als wunderſamen Troſt für fein ſ<hmerzzerriſſenes Herz. Die hellen Thränen ſtürzten ihm aus den Augen und das erſchro>ene Kind an ſich preſſend, ſank er mit dieſem auf einen Stuhl zurü>.

„Mein Sonnenſtrahl!“ flüſterte ex mit bebenden Lippen und konnte ſeinen Bli> gar niht mehr von der Kleinen wenden.

Das zarte Kind begann ſi< vor ihm zu fürchten und zog ein weinerliches Geſicht, aber Meiſter Müller legte es wie zum Schlafe behutſam auf ſeinen Arm und wartete e3 fo ſanft und zart, wie es die Muiter ſelbſt niht beſſer vermocht hätte.

Als die Wärterin mit der kleinen Eliſabeth zurüdkehrte, blieb ſie an der Thüre der Kinderſtube wie erſtarrt über den ungewohnten Anbli> ſtehen. Aber Meiſter Müller achtete ihrer niht, er wiegte das ſo theuer erkaufte Kind behutſam auf ſeinem Arm und ſtri ihm zärtlich über die goldenen Lökchen.

„Mein Sonnenſtrahl,“ flüſterte ex innig, „o mein Sonnenſtrahl!“

Von dieſem Tage an hatte ſi<h das Verhäliniß von Grund aus verändert. Meiſter Müller trauerte zwar na< wie vor um das verlorene Glüc, welches auf immer mit