Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 12.

152 Das Herzblältchen.

freund doch zu hoch, als daß ſie ihn mit einer ſ{weren, ihm von ihr zugefügten Kränkung hätte in die Welt ziehen ſaſſen mögen. Deshalb ſtre>te ſie ihm jeht beide Hände entgegen. ;

„Seien Sie mix nicht böſe, Wilhelm, aber es geht wirklich nicht anders, ih fann Jhre Frau nicht werden,“ ſagte ſie in herzlichem Lone, „dafür wollen wix aber gute Freunde bleiben, wie wix es immex geweſen waren, nicht wahr, Wilhelm?“

Wilhelm Knorr ergriff ihre Hände mit leidenſchaft= lichem Drucke,

„Ja, ja,“ flüſterte ex mit bebenden Lippen, und dann beugte ex ſein Antliß tief hinab auf die kleinen weichen Hände.

Im nächſten Augenbli>e ſah Helene ſi<h allein, und auf ihrer Hand perlte eine ſ<were Thräne. Helene ſchaute dem Davoneilenden eine kurze Weile finnend nah, dann wendete ſie ſich und ſchritt auf die Gartenbank zu, wieder auf derſelben Plaß nehmend.

„Es iſt ein guter Junge, aber ih begreife nicht, wie er auf einen ſolchen närriſchen Gedanken hat kommen fön= nen,“ ſagte ſie leichthin. Dann lachte ſie ſilberhell auf und das aufgeſ<hlagene Buch vom Tiſche aufnehmend, fuhr ſie in dex begonnenen Lektüre fort.

Auf ihrem Geſicht lag ungetrübte Heiterkeit, welche nux manchmal verſchwand, wenn ſie einen ungeduldigen Blick nah dex Gaxrtenthüre warf.

Im Garten wax es ſtill, und der Himmel ties jenes blaſſe Blau auf, welches das Kennzeichen einer ſengenden