Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 3.

Roman von Georg Hartwig. —- , 97

geröthete Antliß. „Zwei Sprachen gibt es, Hoheit, die überall glei<h lauten und verſtanden werden: Wiſſen'chaft und Wahrheit !“

Der Prinz lächelte. „Was iſt Wahrheit? Ein Phantaſiegeſpinnſt wie hundert andere ſ{höne Dinge. Und Wiſſen= ſchaft? Du lieber Himmel, gibt es etwas Trügeriſcheres, als dieſen Wirrwarr ſtreitender Meinungen, den man Wiſſenſchaft nennt? Nein, es gibt nur eine Univerſal= ſprache: die der Liebe, und in Jhren Jahren, Marcheſa, und bei Jhren Gaben ſollte dieſe ſtets den Vortritt haben.“

„Weshalb?“ fragte ſie no< kühler, und- wieder trat der herbe Zug um ihre Mundwinkel grell hervor.

„Schon deshalb, weil die Zuſammenſtellung der Liebe mit der Wiſſenſchaft eine — verzeihen Sie, Marcheſa Verkeßerung, um nicht zu ſagen Blasphemie, iſt. Liebe und Wiſſenſchaft ſind wie Sonne und Mond. Wo die Liebe leuchtet in ihrem himmliſchen Glanze, ſchwindet das armſelige Mondlicht der Bücherweisheit in ſein Nichts dahin. Unter dem Mond reift keine Aehre, nicht der fleinſte Halm; ſowie die Sonne darauf ſtrahlt, ſprießt Alles im Menſchenherzen hervor, was die Natux darin eingeſchloſſen hat. Daher können wir die Wiſſenſchaft zu unſerem Glü> entbehren, die Liebe niht. Was haben Sie darauf zu ſagen, Marcheſa 2“

„Daß Beides,“ ihre feingeſ{<weiften Naſenflügel ‘bebten eiſe, „eitel iſt, wie Alles auf Erden. Glauben Sie, Hoheit, daß man im Kloſter über ſolche Dinge ein anderes Urtheil fällen lernt, als im Getriebe dex Welt!“

„Bor allen Dingen erhält man ein falſches Bild “ Bibliothek. Jahrg. 1886, Bd. IIx, 7