Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 4.

94 : Dex Talisman des Weibes.

Sie ſah mit kummervollem Vorwurf in ſeine ermatteten Züge. „Und: Dein Sohn?“

Er wandte ſi< haſtig ab, damit Tante Käthe die brennenden Tropfen nicht gewahrte, welche ſich ſeinent ge= preßten Herzen langſam entrangen.

2.

Margarethe ruhte im Grabe. Die Blumen auf ihrem Hügel hatte der NaHhtfroſt {nell vernichtet, rauhe Winde zerrten an den Seidenſchleifen der Palmenzweige und an den weißen Roſenkränzen, als wollten ſie das Geheimniß durchdringen, wen dieſer ſinnige Shmu> hiex verbergen follte.

Tante Käthe, ‘zum zweiten Male wiederkehrend, ordnete mit liebender Hand das wild zerflatterte Laubwerk, wobei ihre großen, dunklen Augen gedankenſhwer gegen den wolkenbede>ten Himmel gerichtet waren. Sie hatte heute beim Mittagsmahle dex Bitte Meiſchi®'s nachgegeben, an ſeinem Kinde fortan Mutterſtelle zu vertreten. Die Stift2= dame war keinen Moment in Zweifel geweſen, wel<* eine unabſehbare Kette von Verpflichtungen und Beſchränkungen ſie dieſem nicht leicht zu befriedigenden Manne gegenüber auf ſich nahm, indeſſen die Liebe zu Margarethe und ihrem Sohne ſiegte. Zuleßt, als Tante Käthe ſich das Herz am Grabe ihres Lieblings frei und leicht geweint, ſchien es ihr, als habe dieſe ſ{<webende Frage überhaupt keine andere Erledigung finden können, und mit neu belebter Zuverſicht und thatkräftigem Entſchluß verließ ſie den Friedhof, in deſſen froſtſtarrenden Bäumen der Wind heulte und brauste. a