Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 6.

Novelle von E. Merk. T2

Eine Röthe des Unwillens über dieſe Bevormundung ſtieg in Emiliens Geſicht und Bertha änderte ſofort den Ton.

„Bitte, Mila, bleib"! Bedenke, was Du thun willſt. Wer iſt Dix dieſer Fremde?“

Da hob Emilie das Haupt ho< und ſtolz, und ſagte mit einem förmlichen Schrei, der aus dem tiefſten Grunde ihres Herzens fam: „Ex iſt mein Gatte!“ ;

Bertha’s Hände ſanfen herab. Sie erwiederte kein Wort und ließ Emilie vorüber; dieſe öffnete die Thüre und ſ<ritt leiſe, zögernd dur<h den Korridor, die Treppe empor zu dem Zimmer, das der Fremde bewohnte. Hier blieb fie aufhorchend ſtehen. Aber ſie vernahm das Stöhnen und Aechzen nicht mehr, das ihr die Ruhe geraubt, Feſte, gleihmäßige Schritte nux waren vernehmbar; der Nacht= wind rauſchte durch die Bäume und der Brunnen plätſcherte vor dem Hauſe. Bertha hatte Recht gehabt. Er brauchte ihre Hilfe niht. Die eigene Phantaſie hatte ihr das Bild eines Fieberkranken vorgegaukelt. Der Weheruf, den ſie zu vernehmen geglaubt, war nux der Aufſchrei ihres eige=nen Herzens geweſen. Ach, wie ſie ſo heimlich, mit ängſt= lich flopfenden Pulſen vor dem Zimmer des Nannes ſtand, in deſſen Hand ſie einſt die ihre gelegt hatte vox dem Altare zu feierlichem Treuſchwux, Und der ihr nun ein Fremder geworden, da fühlte fie den Jammer ihres Gez [chi>es mit ſol<h’ namenloſem Weh, daß ſie alle Kraft aufbieten mußte, um nicht ſ{hlu<zend an der Schwelle zu= ſammenzubrechen.

Es tvax ſo lautlos ſtill. Das Mondlicht fluthete auf das einſame Haus und die ſchneeglißernden Berge herab.