Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 7.

Novelle von A. Kiſtner. ES

Sie war dreißig Jahre alt; man meinte, ſie würde ſich wieder verheirathen, ſie dachte aber niht daran. Die Welt ſagte, ſie ſtehe auf ſehr feſten Füßen, womit man ihre Energie bezeichnen wollte; denno< waren dieſe Füße flein wie ihre ganze Geſtalt. Schön war ſie nicht, kaum hübſ<, aber eine gewiſſe Anmuth konnte ihr Niemand abſprechen. Es lag etwas Heiteres in threm Weſen, und ihre dunklen Augen blidten gern lachend in die Welt, aber manche ſ{<hwere Erfahrung, die ſie {hon gemacht, ver= ſcleierte mitunter ihre Freudigkeit.

Eben verflärte ein zufriedener Zug ihre Mienen; fie dachte jeßt mit Behagen an ihr Heim und an die Freude der alten Dienerin, die ſie am Bahnhofe empfangen und in thr wohl dur<hwärmtes trauliches Zimmer führen würde, wo um dieſe Zeit im Ofen der Theekeſſel ſummte und das kleine Service mit-dem Zwiebelmuſter auf dem Tiſche zu ſtehen pflegte.

Es war vier Uhr und ein kalter Lag im Januar; die Coupéfenſter ſtarrten unter einer ſo dichten Eiskruſte, daß man niht hindux< ſehen fonnte. Der Zug kam von Stuttgart, ging na< Frankfurt und dann weiter. Nur wenige Paſſagiere theilten den Wagen mit Helenen, einige Herren hatten ſich in das nebenan befindliche Rauchcoupé zurüctgezogen, wo es ihnen gemüthlicher erſcheinen mochte.

Helene hüllte ſih feſter in ihren Pelzmantel, denn der Zug hielt und der Wind blies durch die geöffnete Thüre. Die Herren aus dem Rauchcoupé drängten ſi<h in ihren diden Ueberziehern dur< den Gang, das Handgepäd zurü>la®ïend, denn: „Wir kommen wieder, wir wollen nur