Bitef
köpfigkeit wahrnahmen. Mit einem Worte, der Verfasser des, Käthchen von Heillbronn war ein unheilbarer Kranker. . . Der Verfasser dieses am 27. Dezember 1811 im Morgenblatt für gebildete Stände veröffentlichten Nachrufs hätte statt des Käthchen von Heilbronn ebensogut die Penthesilea als Beleg für die Krankheit Kleists anführen können - die Zustimmung vieler wäre ihm sicher gewesen. Denn die Urteile der meisten Zeitgenossen über das Gesamtwerk âeists, speziell jedoch über die Penthesiisä., sind geprägt von Ratlosigkeit und moralischer Entrüstung, Goethe, dem der Dichter die Tragödié am 24. Januar 1808 auf den, Knien meines Herzens übersandte, antwortete rasch un lapidar: Mit der Penthesilea kann ich mich noch nicht befreunden. Sie ist aus einem
so wunderbaren Geschlecht und bewegt sich in einer so fremden Region, daß ich mir Zeit nehmen muß, mich in beide zu finden. Dazu aber ist es nie gekommen, und unter Berufung auf Goethes Urteil haben auch nachfolgende Generationen immer aufs neue vol allem ihr Unbehagen formuliert. Der böse Vorwurf, dies alles sei Krankheit, blieb lebendig und noch 1936 sieht Georg Lukács in Kleist den exponierten Vertreter der schroffsten romantischen Opposition mit allen ihren reaktionären Tendenzen gegen den klassischen Humanismus der Weimarer Periode Geothes und Schillers. Auch Lukács vermißt bei Kleist den gesunden, den vernünftigen Hang zu einer normalen Auffassung der Leidenschaften und resümiért: Goethe, der infolge seiner ge-
Sunden Abneigung gegen jede Dekadenz Kleist nicht mochte, nennt ihn einen ,von der Natur schön intentionierten Körper, der von einer unheilbaren Krankheit ergriffen sei. Tatsächlich ist Penthesilea geprägt von Extremen! Streng und genau fixierte Gesetze regeln und reglementieren das Leben sowohl im Männerstaat der Griechen als auch in dem der Amazonen. Individueller Spielraum ist keinem, auch nicht den Herrschenden gewährt. Gefühle bleiben verpönt; denn sie sind weder regelbar noch zu berechnen. Und jeder Busen ist, der fühlt, ein Rätsel. Wenn dies Prothoe, die vertraute Freundin Penthesileas, begreift, ist Penthesilea selbst (im Tiefsten aufgewühlt durch ihre Begegnung mit Achill) ihrer Gefühle schon
nicht mehr sicher. Sie fühlt, daß die bisher für unanfechtbar gehaltenen Ideale des Amazonenstaates für sie nicht mehr unanfechtbar sind. Fragen, die bisher nie gestellt wurden, sind plötzlich unausweichlich; Antworten, die man bisher nie benötigte, müssen jetzt gefunden werden. Die Suche nach sich selbst, auf die sich Penthesilea im Verlauf des Stückes mit zunehmender Konsequenz begibt, wird von Kleist in ein Extrem getrieben, das die totale Mißachtung, das totale Übersehen der Schicksale anderer cinschließt. Daß Achill innerhalb seiner Welt in ähnlicher Weise zu fühlen beginnt, daß auch er im Konflikt zwischen der ihm auferlegten Pflicht und der in ihm erwachenden Neigung sich für die Neigung entscheidet, wird zum