Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1, page 164
106 Erſte Ordnung: Affen; erſte Familie: Shmalnaſen (Menſchenaffen).
Hylobates lar, feinen Namen zur Erinnerung an eine Geliebte des leßteren, an die ſchöne, aber ſ{<waßhafte Najade Lara, welche dur<h ihre raſtloſe Zunge Jovis Zorn, durch ihre Schönheit aber zu ihrem Glücke no< Merkurs Liebe erwe>te und hierdur<h dem Hades entrann.
Dex Lar lebt in Banden von 6—20, jung wie alt und beide Geſchlechter beiſammen. Jn ſeinem Weſen gleicht er dem Hulo>, ſoll aber laut Ti>ell niht ganz ſo lebhaft und behende wie dieſer ſein. Auch trinkt er anders und zwar wie der Siamang, indem er mit der Hand das Waſſer {höpft und das von den Fingern träufelnde aufle>t. Auch ſein Geſ<hrei wird als durchaus verſchieden von dem des Hulo> geſchildert. Der Lar bedient ſich im Gezweige der Väume ſo aus\cließli< ſeiner Vorderglieder, daß er irgendwelche Gegenſtände, die er mitnehmen will, ledigli<h mit den Füßen hält, beſonders, wenn er fliehend geraubte Früchte in Sicherheit bringen will.
Am ſchwerfälligſten bewegt ſich, ſeiner Geſtalt entſprechend, der Siamang, da er nicht bloß langſam geht, ſondern auch etwas unſicher klettert und nur im Springen ſeine Behendigkeit bekundet. Aber auch die übrigen vermögen auf dem Boden nur {wer fortzukommen. „Zm Zimmer oder auf ebener Erde“, ſagt Harlan von den Hulos, „gehen ſie aufrecht und halten das Gleichgewicht ziemlih gut, indem ſie ihre Hände bis über den Kopf erheben, ihre Arme an dem Handgelenke und im Ellbogen leiſe biegen und dann re<ts und links wankend ziemlich ſ{hnell dahinlaufen. Treibt man ſie zu größerer Eile an, ſo laſſen ſie ihre Hände auf den Boden reihen und helfen ſi< dur< Unterſtüßung ſchneller fort. Sie hüpfen mehr, als ſie laufen, halten den Leib jedo< immer ziemli<h aufre<t.“ Von den übrigen wird geſagt, daß es ausſehe, als ob der Leib nicht allein zu lang, ſondern auch viel zu ſhwer ſei für die kurzen und dünnen Schenkel, ſi< deshalb vorn überneige, und daß ihre beiden Arme beim Gehen gleihſam als Stelzen benußt werden müßten. „So kommen ſie ru>weiſe vorwärts, vergleichbar einem auf Krücken humpelnden Greiſe, welcher eine ſtärkere Anſtrengung fürchtet.“ Ganz das Gegenteil findet ſtatt, wenn ſie ſi< kletternd bewegen. Alle Berichterſtatter ſind einſtimmig in ihrer Bewunderung über die Fertigkeit und Geſchi>lichkeit welche die Langarmaſfen im Gezweige bekunden.
Mit unglaublicher Naſchheit und Sicherheit erklettert der Wauwau, laut Duvaucel einen Bambusrohrſtengel, einen Baumwipfel oder einen Zweig, ſ{hwingt ſih auf ihm einigemal auf und nieder oder hin und her und ſ<nellt ſi<h nun, durch den zurü>prallenden Aſt unterſtüßt, mit ſolher Leichtigkeit über Zwiſchenräume von 12—13 m hinüber, drei-, viermal nacheinander, daß es ausſicht, als flöge er wie ein Pfeil oder ein ſchief abwärts ſtoßender Vogel. Man vermeint es ihm anzuſehen, daß das Bewußtſein ſeiner unerreihbaren Fertigkeit ihm großes Vergnügen gewährt. Er ſpringt ohne Not über Zwiſchenräume, welche er dur kleine Umwege leiht vermeiden könnte, ändert im Sprunge die Richtung und hängt ſich an den erſten beſten Zweig, ſchaukelt und wiegt ſi<h an ihm, erſteigt ihn raſh, federt ihn auf und nieder und wirft ſih wieder hinaus in die Luft, mit unfehlbarer Sicherheit einem neuen Ziele zuſtrebend. Es ſcheint, als ob er Zauberkräfte beſäße und ohne Flügel gleihwohl fliegen könnte: er lebt mehr in der Luſt als in dem Gezweige. Was bedarf ſol begabtes Weſen noh der Erde? Sie bleibt ihm fremd, wie er ihr; ſie bietet ihm höchſtens die Labung des Trunkes, ſonſt ſtößt ſie ihn zurü> in ſein luſtiges Reich. Hier findet er ſeine Heimat; hier genießt er Ruhe, Frieden, Sicherheit; hier wird es ihm möglich, jedem Feinde zu troßen oder zu entrinnen; hier darf er leben, erglühen in der Luſt ſeiner Bewegung.
Dieſe Luſt zeigte ſih re<t deutli<h an einem weiblihen Wauwau, welchen man lebend nach London brate. Man wollte an ihm die Bewegungsfähigkeit ſeiner Sippſchaſt prüfen und richtete ihm deshalb einen großen Naum beſonders her. Hier und da, in verſchiedenen Entfernungen, ſete man Bäume ein für das Kind der Höhe, um ſeinen wundervollen Bewegungen- Spielraum zu gewähren. Die größte Weite von einem Aſte zum anderen betrug