Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1, page 168

110 Erſte Ordnung: Affen; erſte Familie: Shmalnaſen (Menſchenaffen).

Über die geiſtigen Fähigkeiten der Langarmaffen, ſind die Meinungen der Beobachter geteilt. Duvaucel ſtellt dem Siamang ein ſehr {hle<tes Zeugnis aus. „Seine Langſamkeit, ſein Mangel an Anſtand und ſeine Dummheit“, drü>t er ſi aus, „bleiben dieſelben. Zwar wird er, unter Menſchen gebracht, bald ſo ſanft, wie er wild war, und ſo vertraulih, wie er vorher heu war, bleibt aber immer fur<tſamer als die andereit Arten, deren Anhänglihhkeit er niemals erlangt, und ſeine Unterwürfigkeit iſt mehr Folge ſeiner unbeſchreiblihen Gleichgültigkeit- als des gewonnenen Zutrauens. Er bleibt derſelbe bei guter und ſhle<ter Behandlung; Dankbarkeit oder Haß ſcheinen fremdartige Gefühle für ihn zu ſein. Seine Sinne ſind ſtumpf. Beſieht er etwas, ſo geſchieht dies ohne Empfindung; berührt er etwas, ſo thut er es ohne Willen. So iſt er ein Weſen ohne alle Fähigkeiten, und wollte man das Tierreih na< der Entwi>kelung ſeines Verſtandes ordnen, ſo würde er eine der niedrigſten Stufen einnehmen müſſen. Meiſtens ſitt er zuſammengekguert, von ſeinen eigenen langen Armen umf<hlungen, den Kopf zwiſchen den Schenkeln verborgen, und ruht und ſ{<läft. Nur von Zeit zu Zeit unterbricht er dieſe Nuhe und ſein langes Schweigen durch ein unangenehmes Geſchrei, welhes weder Empfindung no< Bedürfniſſe ausdrückt, alſo ganz ohne Bedeutung iſt. Selbſt der Hunger ſcheint ihn aus ſeiner natürlichen Schlaftrunkenheit niht zu erwe>en. Jn der Gefangenſchaft nimmt er ſeine Nahrung mit Gleichgültigkeit hin, führt ſie ohne Begierde zum Munde und läßt ſie auh ohne Unwillen ſich entreißen. Seine Weiſe, zu trinken, ſtimmt ganz überein mit ſeinen übrigen Sitten. Er taucht ſeine Finger ins Waſſer und ſaugt dann die Tropfen von ihnen ab.“ Auch C. Bok nennt ihn in der Gefangenſchaft träge und dumm; er zeige nicht die unterhaltende Lebhaftigkeit anderer Affen und ſcheine an Verſtandeskräften zu verlieren. Derartige Erfahrungen an einzelnen Tieren dürfen aber niht ganz allgemein aufgefaßt werden, zumal die übrigen Beobachter, wenn auch niht das gerade Gegenteil ſagen, ſo doh weit günſtiger über unſeren Affen berichten.

H. O. Forbes erhielt einen jungen Siamang, der mit ſeiner geſchoſſenen Mutter vom Baume geſtürzt war: „Jn ſehr kurzer Zeit ließ er ſi< zähmen und wurde ein ſehr angenehmer Geſellſhafter. Der Ausdru> ſeines Geſichtes war ſehr intelligent und bisweilen faſt menſ<hli<, aber in der Gefangenſchaft zeigte er ein trauriges und gedrü>tes Weſen, welches jedoch in der Aufregung gänzlih verſhwand. Mit welcher Eleganz und Artigkeit nahm er das, was man ihm bot, mit ſeinen zarten, ſpißen Fingern. Um zu trinken, legte er niht die Lippen an das Gefäß, ſondern hob das Waſſer zum Munde, indem er ſeine halbgeſchloſſene Hand eintauchte und die Tropfen linkiſ<h von den Fingern able>te. Die artige, liebkoſende Weiſe, wie er ſeine langen Arme um meinen Hals und ſeinen Kopf an meine Bruſt legte, wobei er ein zufriedenes Brummen hören ließ, war ſehr lieben8würdig. Jeden Abend pflegte er mit mir einen Gang um den Doxrfplaß zu machen, mit ſeiner Hand auf meinem Arme, und genoß den Spaziergang offenbar ebenſoſehr wie ih ſelbſt. Es war ein merkwürdiger und lächerliher Anbli>, wie er aufrecht auf ſeinen etwas krummen Beinen in größter Haſt dahintrippelte, als wollte er ſeinen Kopf verhindern, den Füßen vorauszueilen, wobei er auf die ſeltſamſte Weiſe mit dem freien langen Arme über dem Kopfe hin- und d herſhlenkerte, um ſih im Gleichgewichte zu halten.“

Bennett brachte einen Siamang faſt bis na< Europa herüber, und dieſer gewann ſih in ſehr kurzer Zeit die Zuneigung aller ſeiner menſhlihen Reiſegefährten. Er war ſehr freundlih gegen die Matroſen und wurde bald zahm, war auh keineswegs langſam, ſondern zeigte große Beweglichkeit und Gewandtheit, ſtieg gern im Takelwerke umher und gefiel ſi in allerlei harmloſen Scherzen. Mit einem kleinen Papuamädchen \{<loß er zärtlihe Freundſchaft und ſaß oft, die Arme um ihren Na>en geſchlungen, neben ihr, Schiffsbrot mit ihr kauend. Wie es ſchien, hätte er mit den übrigen Affen, welche ſi< am Bord