Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

90 Vierte Drdnung: Raubtiere; fünfte Familie: Hunde.

an verre>tem Vieh herum. Jn einigen Städten, wie Odeſſa, gehen Wächter umher, die ein beſtändiges Blutbad unter den herrenloſen Hunden anrichten. Allein es hilft wenig, da man die Hundequellen in den Dörfern und Städten nicht verſtopfen kann. Die Hunde ſind eine wahre Landplage, ſie ſind allen zur Laſt und freſſen ſelbſt den Gärtnern Obſt und Trauben weg.“

Jn etwas beſſeren Verhältniſſen leben die Hunde Braſiliens, welche uns von Henſel in anfprechender Weiſe geſchildert worden ſind. „Sie gehören“, ſagt er,- „im allgemeinen keiner beſtimmten Raſſe an. Vielfah gekreuzt und ausgeartet, haben ſie ihre Triebe und Sinne nach keiner beſtimmten Richtung beſonders entwi>elt, ſondern nähern ſih mehr dem Urzuſtande des Hundes, in welchem der Kampf ums Daſein alle Sinne zux Geltung bringt. Und in der That führen dieſe Hunde einen ſolchen Kampf; denn der Braſilier, welcher zu träge iſt, für ſih ſelbſt die hinreichende Nahrung zu beſorgen, hat ſi< den Grundſag gebildet, man müſſe die Hunde nie füttern, um niht auf ihren Jagdeifer einen hemmenden Einfluß auszuüben. Schon von Jugend auf ſind ſie daher an Entbehrungen, aber auh zugleih an Stehlen und Rauben gewöhnt. Meilenweit durchſtreifen ſie das Feld, von dem Verweſungsgeruche gefallener Tiere gelo>t, und machen Aasgeiern und Füchſen die Beute ſtreitig. Daher iſt auh die Anhänglichkeit an den Herrn gering und von Treue und Gehoxrſam wenig zu erkennen. Haben ſie ihren Herrn verloren, ſo ſuchen ſie ſi gern einen anderen, und mit etwas Futter mag ſie jedweder an ſi feſſeln. Doch gibt es auh Landſtreicher, wel<he nur ſo lange einem beſtimmten Herrn ſi< anſchließen, als es ihnen behagt, ſonſt aber den Dienſt leicht we<ſeln. Von eigentlichen verwilderten Hunden habe ih nie etwas gehört.

„Geſtalt und Farbe dieſer Hunde iſt ſehr we<ſelnd, und ein beſtimmter Raſſencharakter läßt ſih niht entde>en. Wir würden ſie mit dem Namen Dorffköter bezeihnen, wenn niht ihre Größe im allgemeinen dafür zu bedeutend wäre. Offenbar ſind ſie die dur< Hunger und Mangel an Pflege ausgearteten Nachkommen großer Hunde, welhe man einſt zum Schuße der Herden und Niederlaſſungen aus Curopa eingeführt hatte. Und dieſe Aufgabe erfüllen ſie au< no< heute. Man kann bei keiner Eſtancia vorüberreiten, ohne von einem Rudel junger, biſſiger Wächter angefallen zu werden, deren manche ſelbſt das Pferd niht ſcheuen und ſogar den Reiter auf demſelben zu faſſen ſuchen. Jhre Hauptaufgabe beſteht jedo<h darin, das Vieh zuſammenzutreiben, was alle Wochen einmal geſchieht. Die Leute des Landbeſißers reiten am Morgen mit einer Schar Hunde auf das Weideland hinaus. Jhr eigentümlicher, lang gezogener Ruf ſchallt weit über das Grasfeld, und alles Vieh, welches denſelben hört, ſtürzt, von Jugend an daran gewöhnt, nah dem Sammelplaße. Aber in den abgelegenen Teilen der Weide, in kleinen Waldſtü>ken, welche über das ganze Land zerſtreut ſind, ſte>t no< manches Stück, welches aus Scheu oder Trägheit dem Rufe des ſchwarzen Hirten niht folgte. Hier nun treten die Hunde in Thätigkeit, und indem ſie alle Shlupfwinkel durchjagen, treibt ihr wütendes Bellen ſelbſt die verborgenſten Tiere hervor.

„Gelegentlih üben ſie auh die Jagd aus, doh nur auf eigene Fauſt. Jede lebende warmblütige Kreatur, welche in ihren Bereich kommt, wird vernichtet. Jhre Naſe iſt ſelten ſehr fein, auh halten ſie niht aus auf der Fährte. Neben ganz unbrauchbaren Hunden aber finden ſich ſolhe von hervorragenden Eigenſchaften, welche dann einen beſonderen Wert erhalten. Jn den Wäldern, wo der Menſch von ſelbſt zur Jagd gedrängt wird und ihr oft den Lebensunterhalt verdankt, hat man nur Hunde mit feinem Geruche und leihtem Körperbaue beſonders ausgeſuht und gezüchtet und dadurch oft vorzügliche Ergebniſſe erreicht. Manche Hunde verbellen gern das Wild auf den Bäumen, andere jagen lieber die Biſamſchweine und den Tapir. Der Hauptvorzug eines ſolchen Hundes iſt der, daß er auf der Jagd niht in der Nähe des Herrn bleibt, ſondern ſelbſtändig den Wald durhſucht, und