Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Haushunde: Scheitlin über das geiſtige Weſen. 99

ſeines Herrn 2c., kundthun ſollen, weswegen kein Tier ſo oft als er dem Menſchen als Muſter vorgeſtellt wird. Wieviel wird uns von ſeiner Fähigkeit, zu lernen, erzählt! Er tanzt, er trommelt, er geht auf dem Seile, er ſteht Wache, er erſtürmt und verteidigt Feſtungen, er ſchießt Piſtolen los; er dreht den Bratſpieß, zieht den Wagen; er kennt die Noten, die Zahlen, Karten, Buchſtaben; er holt dem Menſchen die Müße vom Kopfe, bringt Pantoffeln und verſucht Stiefel und Shuhe wie ein Kneht auszuziehen; er verſteht die Augenund Mienenſprache und noh gar vieles andere.

„Gerade ſeine Verderbtheit, gerade ſeine Liſt, ſein Neid, Zorn, Haß, Geiz, ſeine Falſch= heit, Zankſu<ht, Geſchilichkeit, ſein Leichtſinn, ſeine Neigung zum Stehlen, ſeine Fähigkeit, aller Welt freundlich zu ſein 2c., bringen ihm den gewöhnlichen Menſchen nahe. Würmer, Käfer und Fiſche lobt und tadelt man nicht, aber den Hund! Man denkt, es lohne ſih der Mühe, ihn zu ſtrafen und zu belohnen. Man gebraucht in Urteilen über ihn gerade die Ausdrü>e, welhe man von dem Menſchen braucht. Man macht ihn wegen ſeiner geiſtigen und ſittlichen Vorzüge zum Reiſe- und Hausgenoſſen, zum Lebensgefährten und lieben Freunde; man lohnt ihm ſeine Liebe und Anhänglichkeit dur< Anhänglichkeit und Liebe; man macht ihn zum Tiſchgenoſſen, man räumt ihm wohl gar eine Stelle im Bette ein; man foſt ihn, pflegt ihn ſorgfältig, gibt ihn an den Arzt, wenn er leidend iſt, trauert mit ihm, um ihn und weint, wenn er geſtorben; man ſet ihm ein Denkmal.

„Nicht ein einziger Hund iſ dem anderen weder körperlih noch geiſtig gleih. Feder hat eigene Arten und Unarten. Dft ſind ſie die ärgſten Gegenſäße, ſo daß die Hundebeſißzer an ihren Hunden einen unerſezlihen Stoff zu geſellſchaftlihen Geſprächen haben. Jeder hat einen noh geſcheiteren! Doch erzählt etwa einer von ſeinem Hunde hundsdumme Streiche, dann iſt jeder Hund ein großer Stoff zu einer Charakteriſtik und, wenn er ein merkwürdiges Schifſal erlebt, zu einer Lebensbeſchreibung. Selbſt in ſeinem Sterben kommen Eigenheiten vor.

„Nux wer kein Auge hat, ſieht die ihm urſprünglichen und entſtandenen Eigenſchaften niht. Und welche Verſchiedenheit einer und derſelben Hundeart! Feder Pudel z. BV. hat Eigenheiten, Sonderbarkeiten, Unerklärbarkeiten; er iſt ſchon viel ohne Anleitung. Er lehrt ſi ſelbſt, ahmt dem Menſchen nach, drängt ſi< zum Lernen, liebt das Spiel, hat Launen, ſe8t ſi etwas in den Kopf, will nichts lernen, thut dumm, empfindet Langeweile, will thätig ſein, iſt neugierig 2c. Einige können nicht haſſen, andere nicht lieben; einige können verzeihen, andere nie. Sie können einander in Gefahren und zu Verrichtungen beiſtehen, zu Hilfe eilen, Mitleid fühlen, lachen und weinen oder Thränen vergießen, zur Freude jauchzen, aus Liebe zum verlorenen Herrn trauern, verhungern, alle Wunden für ihn verachten, den Menſchen ihresgleichen weit vorziehen und alle Begierden vor den Augen ihres Herrn in dem Zügel halten oder ſchweigen. Der Pudel kann ſi< ſhämen, kennt Raum und Zeit vortrefflich, kennt die Stimme, den Ton der Glo>e, den Schritt ſeines Herrn, die Art, wie er klingelt, kurz er iſt ein halber, ein Zweidrittelmenſh. Er benußgt ja ſeinen Körper ſo geſcheit wie der Menſch den ſeinigen und wendet ſeinen Verſtand für ſeine Zweke vollkommen an; do< mangelt ihm das lette Dritteil.

„Vir müſſen weſentli verſchiedene Geiſter, welche niht ineinander verwandelt werden fönnen, unter den Hunden annehmen. Der Geiſt des Spites iſt nicht der des Pudels; der Mops denkt und will anders als der Dachshund. Der Mops iſt dumm, langſam, phlegmatiſch, der Meßgerhund melancholiſch, bittergallig, blutdürſtig, der Spiß heftig, jähzornig, engherzig, bis in den Tod gehäſſig, der Pudel immer luſtig, immer munter, alle Zeit dur der angenehmſte Geſellſchafter, aller Welt Freund, treu und untreu, dem Genuſſe ergeben, wie ein Kind nachahmend, zu Scherz und Poſſen ſtets aufgelegt, der Welt und allen ohne Ausnahme angehörig, während der Spiß nur ſeinem Hauſe, der Meßgerhund nur dem Tiere,