Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

128 Vierte Ordnung: Raubtiere; fünfte Familie: Hunde.

Regſamkeit ſeines Weſens. Da ih mich ſelbſt mit ihm nur wenig beſchäftigte, verſchaffte er ſi auf eigene Art und Weiſe allerlei Kurzweil, verfolgte vorzug8weiſe mit unausgeſeßter Aufmerkſamkeit alles Thun und Treiben der Menſchen und griff ohne weiteres in dasſelbe ein, ſobald es ihm unſtatthaft erſchien. Zank und Streit waren ihm z. B. höchſt zuwider. Selbſt wenn ziemli<h weit entfernte Perſonen in heftigen Wortwechſel miteinander gerieten, ſtürzte er auf ſie zu, ſtellte ſi< knurrend und zähnefletſchend zwiſchen die Streitenden und brachte ſie bald auseinander. .…. Am meiſten ärgerte er ſi<, wenn Fuhrleute ihre Pferde mißhandelten. Zunächſt nahm er in drohender Haltung neben den gequälten Tieren Stellung; wagte ihr Peiniger dann nur noch einen Schlag, ſo wurde ex mit ſoler Vehemenz zu Boden geworfen, daß ihm Hören und Sehen verging. Sah er dagegen, daf jemand kaum im ſtande war, einen ſhwer beladenen Schubkarren von der Stelle zu bringen, ſo eilte er hilfreih hinzu, erfaßte den Bok des Fuhrwerks mit den Zähnen und zog, mit rü>wärts gerihtetem Körper, aus Leibeskräften.

„Seiner gewaltigen Größe entſprah auch ſeine Körperkraft. Spielend trug er z. B. einen Henkelforb von einem halben Zentner Gewicht weite Stre>en. Ein ausgewacſener Heidſhnu>enhammel, der ihn beim Vorübergehen geſtoßen, wurde mir, ohne die geringſte Verleßung zu exleiden, über zwei Einfriedigungen einer Eiſenbahn hinweg zugetragen. Einen wütenden, drohend auf mih zuſchreitenden Deſen, der mit einer Anzahl Kühe zur Weide getrieben wurde, hielt er ſo nahdrü&li<h am Halſe feſt, daß das Tier vor Schmerz laut aufbrüllte und entſeßt davonlief, als es von ſeinem Angreifer befreit wurde. Die Wände einer ſtarken, aus neuen Brettern hergeſtellten Transportkiſte, in welcher „Tom einmal verſandt werden ſollte, und von welcher der Schreiner meinte, dieſelbe ſei für einen Tiger feſt genug gearbeitet, zermalmte er ſchon auf der kurzen Stre>e bis zum Bahnhofe zu Spänen. War er im Begriffe, ſih auf einen Gegenſtand zu ſtürzen, der ihn in Wut verſetzte, vermochte ihn ſelbſt der ſtärkſte Mann nicht zu bändigen, er wurde wie ein Kind umgeriſſen und fortgeſchleift. Í ö

„An allen Familienerlebniſſen nahm er wie ein Menſch Anteil. Wurde z. B. jemand bettlägerig, ſo ſaß er ſtundenlang an dem Lager des Kranken, ſchaute unverwandt nah deſſen Angeſicht und legte ſeine Schnauze oder Pfote leiſe auf die ihm entgegengeſtre>te Hand, um ſein Mitleid auszudrü>en. .…. Traf eine Poſtſendung von einem in der Ferne weilenden Kinde ein, ſo konnte er vor Freude kaum die Zeit erwarten, bis der Fnhalt ausgepa>t wurde, ergriff dann den erſten beſten, zum Vorſchein geëommenen Gegenſtand und eilte damit zu allen Familienangehörigen im Hauſe, die beim Auspa>en niht zugegen waren, um ſie auf dieſe Weiſe von dem frohen Ereignis in Kenntnis zu ſeen. Kehrte ein längere Zeit abweſendes Familienmitglied von der Reiſe zurü>, während ih mich in der Schule bez fand, ſo eilte er ſofort dahin, obgleih er es ſonſt niht wagte, mir dort eine Viſite zu machen, und ſuchte, indem er mir Sto> und Hut herbeitrug und ſih vor Freude wie unſinnig gebärdete, mih zum Fortgehen mit ihm zu bewegen. Gelang ihm dieſes, fo ſtürzte er vor mir ins Haus und brachte mix irgend ein Beſiztum des Angekommenen entgegen, um mir anzudeuten, weshalb er mich geholt. Reiſte dagegen ein ihm lieber Beſuch wieder ab, ſo ſuchte er die Abfahrt zu verhindern, ſ{<leppte das Reiſegepäk wieder aus dem Koupee und verfolgte den abfahrenden Zug eine weite Stre>e mit Bellen und Heulen. Bei ſ{hweren, Kraft beanſpruchenden Verrichtungen im Hauſe war er ſtets mit ſeiner Hilfe bereit; ſo trug er z. B. Kartoffeln und Kohlen im Henkelkorb aus dem Keller, beförderte die Waſchkörbe nach der Bleiche und der Mangel u. \. f.; beſaß überhaupt das Beſtreben, jedem nac eigenem Wunſch und Gefallen zu leben. Kein Wunder daher, daß er bald der Liebling der ganzen Familie, beſonders der weiblichen Mitglieder des Hauſes, wurde, die ihn freilich leider auth mit der Zeit verhätſchelten und angenommene Unarten, welche ſpäter viel Verdruß und