Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Deutſche Dogge: Gräßners Schilderung. 129

Ärger bereiteten, anfangs als intereſſante Eigenheiten belachten, anſtatt ſie zu beſtrafen. Fühlte er ſi z. B. auf ſeinem harten Lager, einer Strohmatraße, unbehaglich, ſo pflegte er während meiner Abweſenheit auf meinem Sofa der Ruhe; vereitelten ihm abſichtlich darüber gebreitete harte Gegenſtände ſein Vorhaben, ſo nahm er auh mit dem härteren Sofa in der Kinderſtube vorlieb. Auf dieſem hatte er mit Erlaubnis die bekannte Krankheit, der die meiſten jungen Hunde unterworfen ſind, in <hwerer Weiſe überſtanden, wurde aber nach derſelben ebenfalls niht mehr darauf geduldet. Überrumpelte man ihn dennoch ein oder das andere Mal auf der verpönten Ruheſtätte und rief thm dann zu: „Tom! biſt du krank?“ ſo blieb ex ruhig liegen, {loß die Augen, ſtöhnte und ähzte laut, ſo daß jeder Fremde, der ſeine Verſtellungskünſte niht kannte, annehmen mußte, ex liege im Sterben. Fn der Regel gelang es ihm aber, ſi, ehe die Thür geöffnet wurde, mit einem Saße vom Sofa zu ſchnellen; in dieſem Falle ſtellte er ſi< mit der unſchuldigſten Miene von der Welt daneben, ſuchte ſeine Verlegenheit dur<h lautes Gähnen und Dehnen ſeines Körpers zu vertuſhen und war, wenn er niht ausgeſcholten wurde, überzeugt, ſeine Liſt ſei ihm geglüd>t. Natürlich nahm er dann ſein Ruhepläßchen von neuem ein, ſobald er ſih wieder allein im Zimmer befand. Gelang es ihm niht, ein Sofa zu erobern, ſo begnügte er ſih mit einem weichen Kopfkiſſen, indem er ſih einen Puff von einem Sofa oder ein Paar Strümpfe aus dem Strumpfkorbe im Nebenzimmer auf ſein Lager herbeiholte. Die wollene Dede, welche über das leßbtere gebreitet war, glättete ex mit Hilfe von Naſe und Pfoten mehrmals täglih ſo ſorgfältig, daß ſie niht das geringſte Fältchen zeigte; auh reinigte er ſie von Zeit zu Zeit von dem auf ihr haftenden Staube, indem ex ſie mit den Zähnen faßte und heftig hin und her ſchüttelte.

„Am ergößglichſten war ſein Benehmen, wenn ſih ihm die Gelegenheit darbot, meinen Töchtern einen Gegenſtand, mit welchem ſie ſih gerade bei ihrer Handarbeit beſchäftigten, etwa ein Paar zuſammengefaltete Strümpfe, einen großen Wollenknäuel 2c., heimlich, wie er ſih einbildete, wegzuſtibizen und in ſeinem großen Rachen verſchwinden zu laſſen. Suhten dieſelben dann den geraubten Gegenſtand abſichtlih mit auffallender Emſigkeit, ſo hatte er ſeinen Zwe> erreicht, ex nahm unter beſonders gemeſſener Haltung eine möglichſt einfältige Miene an, um zu zeigen, daß er keine Ahnung von dem Grunde der ſtattfindenden Aufregung habe, und gab das Vermißte unter ſ<hlauem Blinzeln nicht früher heraus, als bis man ſi direkt an ihn mit der Frage gewandt hatte: „Tom! weißt du denn niht, wo. hingekommen iſt?“ War ih zufällig bei dieſem Spiele zugegen, ſo kam er, ehe jene Frage an ihn geſtellt und er mit einem Bli>e auf die Mädchen ſich überzeugt, daß er niht beobachtet wurde, unaufgefordert zu mir, ſperrte ſein Maul ſo weit auf, daß ih den geſuchten Gegenſtand erbli>en mußte, warf mir einen verſtändnisinnigen, ſ<helmiſhen Seitenbli> zu, um dann im Umdrehen das vorher gezeigte dumme Geſicht wieder anzunehmen und auf ſeinen Plat zurückzukehren. Unglaublich war ſein ſchnelles Verſtändnis für unſere Wünſche und Befehle. Es ſei mir geſtattet, nur einige Thatſachen als Beleg anzuführen. Einmal hatte er mit ſeinen hmuzigen Füßen das friſch geſheuerte Wohnzimmer arg verunreinigt. Er wurde auf ſein Vergehen aufmerkſam gemacht, ausgezankt, vor die Thür gewieſen und belehrt, wie er ſi<h auf der vor derſelben liegenden Strohde>e zu reinigen habe. Seitdem hat er ſih nicht wieder erlaubt, eher einzutreten, als bis er ſeine Füße ſelbſt nah Möglichfeit vom Schmußge befreit hatte. Fehlte zufällig der Abtreter, ſo bellte er bittend ſo lange vor der Thür, bis jemand mit einem Lappen herauskam und ihm die Füße, die er dann der Reihe nah aufhob und zum Reinigen hinhielt, abrieb. Obgleich er die Schule aus eigenem Antriebe zu allen Tageszeiten beſuchte, um die aus den Papierkörben von dem Kaſtellan geſammelten Viktualien in Empfang zu nehmen, wagte er niemals, wie bereits erwähnt, mir dort einen Beſuch abzuſtatten. Rief man ihm dagegen zu Hauſe zu: „Tom!

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. ILT. 9