Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

144 Vierie Ordnung: Raubtiere; fünfie Familie: Hunde.

Die Vorſtehhunde ſind ganz ausgezeihnete, luge, gelehrige, folgſame und jagdbegierige Tiere und zur Jagd auf allerlei Wild geradezu unentbehrlih. Sie ſpüren ſowohl dur< ſcharfe Verfolgung der friſchen Fährte als auh dur unmittelbares Wittern das Wild aus, und zwar vermögen ſie unter günſtigen Umſtänden ſchon aus einer Entfernung von 30 und ſogar 50 Schritt Kleinwild dur< den Geruchsſinn wahrzunehmen.

„Jh habe mi“, ſagt Diezel, „ſeit einer langen Reihe von Jahren fortwährend damit beſchäftigt, die Fähigkeit der bei uns vorkommenden Tiere zu vergleichen, und mi immer feſter überzeugt, daß ſie alle bei weitem von einem übertroffen werden, nämlich von dem gewöhnlichen Begleiter des Jägers, von dem Vorſtehhunde.

„Dieſer Hund muß jedo<, wenn meine Behauptung auf ihn anwendbar ſein ſoll, von ganz reiner Abkunft ſein und alle ſeine natürlichen Anlagen, namentli < einen ſehr ſcharfen Gerugh, beſißen. Er muß ferner niht vereinzelt erzogen werden, ſondern unmittelbar unter den Augen ſeines Führers aufgewachſen ſein, damit er gleih von Fugend an jedes Wort und jeden Wink verſtehen lernt. Endlich muß auch ſein Herr alle Eigenſchaften eines guten Lehrers, worunter die Geduld feine der geringſten iſt, im vorzüglichen Grade beſißen, ja er muß ſogar ein ſicherer Shüße ſein; denn nux wenn alle Erforderniſſe miteinander vereinigt ſind, kann der Lehrling jenen bewunderungswürdigen Grad von Folgſamkeit, Selbſt beherrſhung und Geſchi>lichkeit erreichen, welchen ih hier in einigen kurzen Sägen zu \cildern verſuchen will. Ein vollkommen abgerichteter, ſtets zwe>mäßig geführter Hund, im Alter von 3—4 Fahren, ſucht, ſeinem natürlichen Triebe folgend, mit immer dem Winde entgegengehaltener Naſe das Wild auf, indem er bald re<hts, bald links ſi< wendet. Auch bleibt er von Zeit zu Zeit einmal ſtillſtehen und ſieht ſi<h nah ſeinem Gebieter um, der nun durch eine Bewegung dem Hunde die Gegend bezeichnet, welche er abſuchen ſoll. Dieſe Winke werden auf das genaueſte befolgt. Kommt ihm nun die Witterung irgend eines bedeutenden Wildes in die Naſe, ſo hört auf einmal die ſonſt unaufhörlihe Bewegung des Schweifes auf. Sein ganzer Körper verwandelt ſih in eine lebende Bildſäule. Oft auch ſ<hleiht er nah Kaßtenart und mit leichten Tritten dem Gegenſtande näher, ehe er ganz feſtſteht. Nah wenigen Augenbli>en wendet er nun den Kopf nach ſeinem Herrn, um ſich zu überzeugen, ob dieſer ihn bemerkt hat oder niht, und ob er ſi nähert. Es gibt ſogar Hunde, welche, wenn der Örtlichkeit nah ſolches niht möglich iſt (z. B. im Walde oder im hohen Getreide, wo man es nict ſehen kann), das gefundene Wild auf kurze Zeit verlaſſen, um ihren Herrn aufzuſuchen und an Ort und Stelle zu führen. Doch thaten dies von den vielen Hunden, welche ih in meinem Leben beſeſſen und geführt, nur einige, und nicht ſchon in der erſten Zeit, ſondern ſie lernten es erſt in ſpäteren Fahren.

„Eine der ſ{hönſten Gelaſſenheitsproben für junge, feurige Hunde iſt die, wenn ſie das dicht vor ihren Augen von dem Jäger getroffene Flugwild flattern und dann fallen ſehen, es aber niht greifen dürfen. Und auch dieſer großen Verſuchung lernt ein folgſamer Hund bald widerſtehen und wagt es nicht eher zu apportieren, als bis er von ſeinem Herrn die Erlaubnis dazu erhalten hat. Ein ebenſo ſhwieriger und faſt noh ſ{hwierigerer Punkt iſt die tief in des Hundes Natur liegende Begierde, jeden ihm ins Geſicht kommenden Haſen zu verfolgen. Hier hat ex einen um ſo ſhwereren Kampf zu beſtehen, als es ja unſtreitig die Beſtimmung des Hundes iſt, das Wild zu verfolgen und zu fangen. Es muß augenſchheinlih der Hund ſeine Natur hier verleugnen, und er verleugnet ſie auh wirklich. Denn nachdem er eine Viertelſtunde lang vor dem Lager des Haſen geſtanden hat, darf er, wenn dieſer endlich aufſteht und entflieht, ihm dennoch keinen Schritt nachfolgen, viel weniger noh im Lager ſelbſt oder im Augenblicke des Entweichens ihn ergreifen oder töten. Er darf es ſogar dann nicht thun, wenn ein in voller Flucht begriffener Haſe ſih ſeinen Zähnen gleichſam freiwillig darbietet und ſozuſagen in den Rachen hineinlaufen würde.